"Paul VI. war ein Hippie": Kommentare zu 50 Jahre "Humanae vitae"
26.07.201819:12
(zuletzt bearbeitet am 27.07.2018 um 16:06 Uhr)
Österreich/Kirche/Moral/Papst/Sexualität
Michael Prüller in der "Presse": Enzyklika war durchaus auf einer Linie mit der 1968er-Bewegung - Julius Müller-Meiningen in der "Kleinen Zeitung": "Was, wenn Paul VI. doch recht hatte?" - Weihbischof Laun fordert Weiterentwicklung des Naturrechts
Wien, 26.07.2018 (KAP) Die Pillen-Enzyklika passe perfekt ins 1968er-Jahr - als Teil seines "großen Vermächtnisses" - und habe Paul VI. "unter die Hippies eingereiht": Zu diesem Schluss kommt der Wiener Diözesansprecher Michael Prüller in seiner "Presse"-Kolumne "Culture Clash". Damals sei überall die Sehnsucht nach dem Höheren, Größeren sowie der großen Aufgabe und dritten Dimension hinter der bürgerlichen Plattheit im Vordergrund gestanden: "Man entdeckte den Weltfrieden und die Mutter Erde und hoffte, hinter dem engen Bewusstsein noch ein weiteres zu entdecken."
Dazu passe, dass es im Zeugungsakt eine "Phase von göttlicher Erhabenheit" gebe, schrieb Prüller. Diese beginne ab dem Zeitpunkt, nachdem die Menschen ihr Werk getan hätten, wenn die Spermien ihre Reise zum Eileiter antreten und sich in einer komplizierten Wirkungskette zu einem neuen Menschen verbinden - oder auch nicht. "Es ist letztlich nicht der Mensch, der zeugt. Diese Phase ist von ihm nicht steuerbar, sie liegt in anderen Händen", so der diözesane Kommunikationschef. Für religiöse Menschen sei hier ein "hoheitlicher Moment Gottes".
Nachdem also der Sexualakt also per se einen menschlichen und einen göttlichen Teil habe, liege es auf der Hand, "dass es für einen gottesfürchtigen Menschen nicht die klügste Option sein kann zu sagen: 'Weißt du was, lieber Gott? Wir lassen beim Sex deinen Teil am besten völlig weg'" Gegen diesen Eingriff - durch Verhütungsmittel - wende sich "Humanae vitae", so Prüllers Kürzestbeschreibung der Enzyklika. Paul VI. habe festgehalten, "dass auch der Sex eine dritte Dimension haben soll, die über die doch selbstbezogen bleibende lustvolle Intimität hinausgeht und in der man ans Ewige, ans Göttliche anknüpft."
Freilich könne diese Diskussion einem modernen Menschen ohne Gottesbeziehung mitunter befremden: "Ihm ist Sex an sich schon etwas Göttliches - warum sollte er nur eine göttliche Komponente haben? Noch dazu eine, die erklären würde, warum Sex nur in der Ehe, und zwar der von Mann und Frau, seine eigentliche Tiefe findet", bemerkte Prüller. Auch die ursächliche Beziehung von Sex mit Liebe und Verantwortung erschließe sich nicht sofort.
Paul VI. habe jedoch der Entgrenzung im Sex das Wort gesprochen - nicht etwa bezüglich Zahl und Wahl der Partner, sondern der Entgrenzung hin zu Gott. "1968 hat er damit ein Thema der Zeit genau getroffen: Was ist richtig guter Sex?", so der "Presse"-Kolumnist.
Neudefinition von Sex steht noch aus
"Der oft durchaus konservative Franziskus erkennt sich in Paul VI. offenbar wieder", kommentierte Julius Müller-Meiningen in der "Kleinen Zeitung" die für Oktober angesetzte Heiligsprechung des oft als "Pillen-Paul" verschrieenen Papstes. Entgegen der Wahrnehmung, habe der Montini-Pontifex nämlich als einer der ersten in der katholischen Kirche auf das Dialog-Prinzip gesetzt, mit der erstmaligen Einberufung einer Bischofssynode 1967. "Parallelen drängen sich förmlich auf", so der Rom-Korrespondent.
Das gelte sogar für das "heiße Thema" des Umgangs mit der Empfängnisregelung. Hier sei es denkbar, dass Franziskus 50 Jahre nach "Humanae vitae" einen Weg einschlage, der ähnlich wie bei der Kommunion für verschiedenkonfessionelle Ehepaare auf "Einzelfalllösung und Aufwertung des Gewissens" abziele. Bei diesem Analog-Fall habe der amtierende Papst einen "für ordnungsliebende Beobachter verwirrenden Zickzackkurs" gewählt - deshalb, da er sich selbst stets "mit den Glaubenswächtern arrangieren" müsse.
Hinsichtlich der Beurteilung der zur Polemik gewordenen Enzyklika von einst war Müller-Meiningen zurückhaltend. "Und wenn Paul VI. doch recht hatte?", stellte er gleich eingangs zur Abrede - mit dem gleichzeitigen Hinweis, die Frage nach der Verhütung in der Ehe sei nur noch innerkirchlich ein Thema. Fragen dahinter würden kaum gestellt: "Etwa: macht uns das, was wir unter Selbstverwirklichung verstehen, wirklich glücklich? Suchen wir überhaupt noch Glück, oder geben wir uns mit Wohlstand und ab und zu mit einem Orgasmus zufrieden?"
Während Paul VI. mit dem Postulat von Selbstbeherrschung und "zuchtvollem Verhalten" Empörung geerntet habe, habe Franziskus in "Amoris laetitia" auch der erotischen Dimension der Liebe Platz eingeräumt. Allerdings: "Den Sex von moralischen Strukturen zu lösen, ihn aber auch vom Konsumgut weg hin zu einer großartigen und respektvollen Freude zu dekonstruieren, diese Aufgabe steht noch bevor." Also wieder: Die Frage nach dem guten Sex.
"Paul VI. wusste, was er tat"
Doch auch Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA, sprang Paul VI. in einem Kommentar der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" zur Seite. Zwar treffe zu, dass man als Verteidiger von "Humanae vitae" heute als völliger Exot belächelt werde, der Text sei jedoch lesenswert und weit mehr als ein spannendes Zeitdokument, das das aufwühlende Ringen des Papstes angesichts der drängenden Verhütungsfrage dokumentierte. "Der Mann wusste, was er tat", wies Ring-Eifel darauf hin, dass Montini in der Enzyklika selbst die Reaktionen vorhergesagt habe - wenn auch der gigantische Protest jede Vorstellungskraft überschritten haben musste.
Die naturrechtlichen Argumente von Paul VI. seien klar und nachvollziehbar, jedoch heute verpönt, stellte der Kirchenpublizist fest. "Völlig weltfremd" seien sie dennoch nicht, würden doch auch heute 99 Prozent der Menschen durch Zeugung im heterosexuellem Geschlechtsverkehr geboren. "Wer sich als Paar bewusst diesen Vorgaben unterwirft, lebt und liebt jedenfalls nicht in der Anmaßung, 'als wäre er Herr über die Quellen des Lebens' - und das ist gut so".
Noch klarer das Lob für die Vorhersagekraft der Enzyklika: die negativen Auswirkungen leicht verfügbarer Verhütung auf eheliche Treue, die Scheidungszahl und die Degradierung der Frau zum Sexualobjekt etwa, während der damalige Papst andere Weiterentwicklungen der Trennung von Geschlechtsakt und Zeugungen 1968 noch nicht ahnen konnte. Durch die Absurdität, dass heute Zehntausende Paare nach vielen Verhütungs-Jahren unter dem Motto "Lust ohne Last" gegen Ende ihrer fruchtbaren Zeit nun in Reproduktionsklinken pilgern, unter Inkaufnahme von Hormonbehandlungen, In-vitro-Zeugungsversuchen und Embryonenvernichtung - "diesmal unter dem Motto Last ohne Lust" - hätte sich Paul VI. wohl bestätigt gesehen, betonte Ring-Eifel.
Laun: Neues Naturrecht nötig
Ein "erneuertes Naturrecht", orientiert an der Lehre von Papst Johannes Paul II. an der leib-seelischen Liebe und der "wahren, großen Freude" am Ehepartner, forderte der emeritierte Salzburger Weihbischof Andreas Laun in einem Gastbeitrag für das Portal "kath.net". Notwendig sei dafür eine "sorgfältige Analyse des ehelichen Aktes, der 'Natur' der menschlichen Sexualität. Diese Analyse hätten die österreichischen und deutschen Bischöfe bei ihrer Mariatroster bzw. Königsteiner Erklärung zu "Humanae vitae" laut Laun verabsäumt; sie hätten die Lehrautorität der Kirche damit "in weiten Kreisen nachhaltig beschädigt" und zu einem Teil der heutigen Krise beigetragen.
Laun antwortete damit auf einen Beitrag des Moraltheologen Eberhard Schockenhoff, der sich differenziert kritisch gegenüber der Enzyklika geäußert hatte. Kritik äußerte Laun besonders daran, dass der Freiburger Professor das Verhütungsverbot als "Widerspruch zur Lebenserfahrung" bezeichnet, einen Abschied der Moraltheologie vom Naturrecht festgestellt und erklärt habe, dass auch christliche Moral begründet werden müsse: Der Verweis auf der Lebenserfahrung bleibe "unklar" und es sei vielmehr so gewesen, dass sich viele Moraltheologen "vom Zeitgeist in die Irre führen ließen". Mit Papst Benedikts Äußerung von der "Humanökologie" sei jedoch die Rückkehr zum Naturrecht bestätigt worden.