Grazer Professorin für Altes Testament, Fischer, in Laudatio: Seit Jahrtausenden einflussreiche Bibel "für Frauen kein Buch von gestern" - Seit 25 Jahren Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung an Katholisch-Theologischer Fakultät Graz - Gössmann-Preis an evangelische Theologin Sabine Plonz verliehen
Graz, 10.12.2019 (KAP) "Die Bibel ist für Frauen kein Buch von gestern - dafür hat sie anthropologische, rechtliche und ethische Konzepte der letzten Jahrtausende zu stark geprägt": Dies in ihrer feministisch-theologischen Forschung herausgearbeitet zu haben ist das Verdienst der in Chicago lehrenden Bibelwissenschaftlerin und Dominikanerin Barbara Reid, die am Dienstag an der Universität Graz mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet wurde. Ihre Laudatorin Irmtraud Fischer, Professorin für Altes Testament an der Grazer Katholisch-Theologischen Fakultät, verwies auf die von Reid initiierte und editierte "Wisdom Commentary" - ein Kommentar der gesamten christlichen Bibel als "signifikanten Meilenstein in der Geschichte des Feminismus und des Bibelstudiums".
Der "Wisdom Commentary" sei weltweit das größte internationale Projekt theologischer Frauenforschung, sagte Fischer. Von den projektierten 58 Bänden seien bereits 20 erschienen, das Gesamtprojekt und einzelne Bände in den USA mehrfach ausgezeichnet worden. Bemerkenswert sei dabei ein völlig neues Konzept des klassischen Bibelkommentars durch das Zusammenwirken namhafter Forscherinnen mit Nachwuchswissenschaftlerinnen aus aller Welt, die Kommentare seien "polyphon und postkolonial" angelegt, wissenschaftliche Fundierung verbinde sich mit Praxistauglichkeit etwa für Predigt oder Bibelrunden.
Dieses Großprojekt ist nach den Worten der Laudatorin Teil feministischer Forschung, die sich nicht nur deskriptiv dem widme, was je gewesen ist, "sondern Vergangenheit und Gegenwart mit einer Option auf Veränderung in Richtung Gleichbehandlung und Gleichberechtigung aller Geschlechter für die Zukunft versieht". Kein "neutraler" Gestus, sondern ein gezielt politisches Anliegen stehe hinter dieser Forschung, freilich ohne Abstriche von wissenschaftlicher Qualität zu machen. Die neue Ehrendoktorin unterrichtet seit langem an der "Catholic Theological Union" in Chicago, das nach dem Zweiten Vatikanum (1962-65) in dessen Geist der Offenheit gegründet wurde. Reid handle dabei - so Fischer weiter - nach der Weisheit des Sprüchebuches, dass eine "sanfte Zunge Knochen zerbricht" (Spr 25,15). Als Dominikanerin sei Reid auch Teil eines großen Verbandes von Ordensleuten, die als Pfeiler der kirchlichen Theologie wirken.
"Alleinstellungsmerkmal" Frauenforschung
Mit dem Ehrendoktorat werde nicht nur die US-Biblikerin gefeiert, sondern auch 25 Jahre "Forschungsschwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung" an der Grazer theologischen Fakultät, wies dessen Leiterin Irmtraud Fischer hin. Dieser Fokus stelle ein "Alleinstellungsmerkmal" für Graz dar: "Es gibt bislang keine andere Fakultät, die so einen Schwerpunkt hat - weder eine theologische Fakultät im deutschen Sprachraum noch eine andere Fakultät an unserer Universität." Die selbst mit einem Ehrendoktorat der Universität Gießen ausgezeichnete Theologin äußerte Freude darüber, dass alle Wissenschaftlerinnen, die neu an die Fakultät kamen, sich explizit daran beteiligten, und auch männliche Theologen hätten sich projektweise angeschlossen. "Auf beide Gegebenheiten sind wir stolz und sind als profilierter Schwerpunkt von der Fakultät wohl nicht mehr wegzudenken", so Fischer.
Seit heuer besetze Rita Perintfalvi eine eigene Post-Doc-Genderstelle an der Fakultät, die Ungarin komme aus einem Nachbarland, in dem Genderstudies an Universitäten aufgrund politischer Entscheidungen abgeschafft wurden, wie Fischer anmerkte. Perintfalvi widme sich einem vom Uni-Rektorat geförderten Projekt über Geschlechterfragen und Rechtspopulismus.
Reichhaltiges "Gender-Festprogramm"
Die Jubiläumsfeierlichkeiten der Katholisch-Theologische Fakultät begannen am Montagabend mit einer von Irmtraud Fischer organisierten "Langen Nacht der Genderlesung" im Grazer Schauspielhaus. Von prominenten Vorleserinnen frei ausgewählt wurden dabei Texte, die "als programmatisch für eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen und aller Geschlechter zu verstehen sind": Gedanken von Simone de Beauvoir aus dem feministischen Klassiker "Das andere Geschlecht" waren ebenso zu hören wie solche der US-Essayistin Susan Sontag oder der heuer verstorbenen Grazer Philosophin Elisabeth List. Lesende waren neben Barbara Reid und Irmtraud Fischer u.a. Schauspielhaus-Direktorin Iris Laufenberg, die ehemalige Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß, die Grazer grüne Stadträtin Judith Schwentner und KPÖ-Stadträtin Elke Kahr.
Der Ehrung von Barbara Reid ging das Symposium "Genderforschung - brauchen wir das?" am Dienstag an der Uni Graz voraus, bei dem u.a. die Bedeutung dieser Forschungsrichtung für Theologie, Kirche und Gesellschaft beleuchtet und der Frage nachgegangen wurde: "Warum liegen die KritikerInnen der Gender-Forschung falsch?".
Verliehen wurde am Mittwoch in der Aula der Uni Graz weiters der mit 3.000 Euro dotierte "Elisabeth-Gössmann-Preis für hervorragende wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung" an die evangelische Theologin Sabine Plonz. In ihrer auch als Buch erschienenen Habilitationsschrift zum Thema "Wirklichkeit der Familie und protestantischer Diskurs: Ethik im Kontext von Re-Produktionsverhältnissen, Geschlechterkultur und Moralregime" geht die in Münster lehrende Plonz dem Wandel der modernen Familie und der protestantischen Ethik nach. Benannt ist der Preis nach der heuer verstorbenen deutschen Pionierin der feministischen Theologie Elisabeth Gössmann, der 1985 ein Ehrendoktorat der Universität Graz verliehen wurde. (Info: https://theol.uni-graz.at/de/fakultaet)