Alter und neuer Papst leben schon lange nebeneinander
04.04.202212:18
Vatikan/Kirche/Papst/Franziskus/Benedikt.XVI
Historisch einmalig: Seit 2013 leben Benedikt XVI. als zurückgetretener und Franziskus als regierender Papst im Vatikan - Doch das von Franziskus gezeichnete Bild vom Ex-Papst als "weisem Großvater" passt nicht mehr - Von Ludwig Ring-Eifel
Rom, 04.04.2022 (KAP/KNA) "Er ist ein so vorsichtiger, besonnener Mann! Er mischt sich nicht ein. (...) Wenn ich ein Problem hätte oder etwas, das ich nicht verstanden habe, dann würde ich ihn anrufen und fragen." Mit diesen Sätzen umschrieb Papst Franziskus bei seiner ersten Auslandsreise im Juli 2013 das Verhältnis zu seinem Vorgänger. Im Weihnachtsinterview mit der Zeitung "La Stampa" im selben Jahr sagte er: "Der emeritierte Papst ist keine Statue in einem Museum. Er ist eine Institution (...) Seine Weisheit ist ein Gottesgeschenk." Und seine erste Enzyklika "Lumen fidei" schrieb Franziskus im Frühsommer 2013 unter Verwendung von Texten, die ihm Benedikt XVI. hinterlassen hatte. Ein Lehrschreiben "mit vier Händen" nannte Franziskus es.
Seither sind knapp neun Jahre vergangen, und die Beziehungen sind nicht frei von Spannungen geblieben. Zwar besucht der Jüngere den Älteren weiterhin an hohen Festtagen, doch fragte er ihn nur noch selten um Rat - und das nicht nur deshalb, weil der am 16. April 95-jährige Ex-Papst kaum noch sprechen und nur noch mit Mühe schreiben kann. Franziskus hat sich in etlichen Punkten von dem distanziert, was Benedikt vorgegeben hat.
Es begann mit einer Personalie: Den deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, von Benedikt XVI. 2012 als theologischer Garant seiner dogmatischen Linie eingesetzt, bestätigte Franziskus nach fünfjähriger Amtszeit überraschend nicht mehr als Glaubenshüter. Ähnlich erging es Erzbischof Georg Gänswein, dem persönlichen Sekretär des alten Papstes. Benedikt XVI. hatte ihn kurz vor Ende seines Pontifikats in die Schlüsselstellung des vatikanischen Protokollchefs befördert und zum Erzbischof geweiht. Knapp sieben Jahre lang war Gänswein dann als "Diener zweier Päpste" persönliche Bindeglied zwischen Benedikt und Franziskus. Doch war sein Verhältnis zum neuen Papst nicht frei von Spannungen. Im Februar 2020 beurlaubte der ihn; seither ist er nur noch als Sekretär des greisen Emeritus tätig.
Vorausgegangen waren Querelen um die Veröffentlichung eines Buches, in dem auch ein Text Benedikts XVI. enthalten war, der sich strikt für die Ehelosigkeit der Priester aussprach - ein Thema, über das der neue Papst die Bischöfe offen debattieren lassen wollte. Es war nicht das einzige Mal, dass schriftliche Einlassungen Ratzingers für Verstimmungen sorgten.
Bereits im April 2019 hatte er mit einem Aufsatz zu sexuellem Missbrauch in der Kirche für Aufsehen gesorgt. Gerade erst hatte Franziskus nach einem Anti-Missbrauchs-Gipfel im Vatikan koordinierte Strategien und Gesetzesänderungen für den weltweiten Kampf gegen den sexuellen Missbrauch auf den Weg gebracht. Diese Bemühungen konterkarierte Benedikt XVI. mit seitenlangen Ausführungen im bayerischen "Klerusblatt", in denen er darlegte, dass dieser Missbrauch kausal mit der sexuellen Revolution von 1968 zusammenhänge.
Kritiker werteten das als Relativierung der Verbrechen - und zudem als wenig überzeugende Argumentation. Der Papst äußerte sich hierzu öffentlich ebenso wenig wie zu anderen Wortmeldungen seines Vorgängers. Doch einen Lobpreis der Weisheit des Papa emeritus sucht man seit einigen Jahren in den vielen päpstlichen Interviews vergebens.
Bruch bei "Alter Messe"
Einen echten Bruch zwischen beiden gab es bislang nur bei einem Thema. Es betrifft den Umgang mit den Traditionalisten und der alten lateinischen Liturgie. 2007 hatte Benedikt, der die seit 1970 weitgehend abgeschaffte "alte Messe" sehr schätzt, diese Form des Gottesdienstes wieder als "außerordentliche Form des römischen Ritus" rehabilitiert.
Seither gab es weltweit Hunderte Pfarreien und Klöster, in denen Priester wieder die Messe mit dem Rücken zum Volk feierten. Sie blieben eine kleine Minderheit, wurden aber immer sichtbarer. Da er die Gefahr einer Spaltung witterte, hob Franziskus den entsprechenden Erlass seines Vorgängers im Juli 2021 auf und verbot mit dem Gesetz "Traditionis custodes" das Nebeneinander von alter und neuer Liturgie in den Pfarreien.
Dass dieser Bruch aber kein komplettes Zerwürfnis bedeutet, zeigte sich, als Benedikt XVI. vor wenigen Wochen weltweit in die Kritik geriet. Er hatte sich bei Aussagen zum sogenannten Münchner Missbrauchsgutachten in Widersprüche verstrickt. Schon bald eilten ihm die offiziellen vatikanischen Medien mit Artikeln und Kommentaren zu Hilfe, in denen sie klarstellten, dass Benedikt in seiner Zeit als Glaubenspräfekt und als Papst härter gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche vorgegangen sei als seine Vorgänger. Es ist nicht vorstellbar, dass diese Verteidigung des emeritierten Papstes ohne Zustimmung von Franziskus erfolgte.
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