Österreichischer "Weltkirche-Bischof" zieht im Kathpress-Interview Bilanz seiner Irakreise - "Wenn es für die jungen Christen keine Arbeitsplätze gibt, werden sie ihre Heimat verlassen müssen" - Autonome Region Kurdistan sicherer Ort für Christen - Leise Hoffnung für Mossul
Erbil/Wien, 05.09.2022 (KAP) Die Christen im Nahen Osten brauchen mehr Aufmerksamkeit und Solidarität des Westens. Das hat der österreichische Militär- und Weltkirche-Bischof Werner Freistetter eingemahnt. Im Kathpress-Interview am Montag zog er ein Resümee seiner Reise in den Nordirak mit einer kleinen Delegation der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) in der vergangenen Woche. Ohne Unterstützung werde die christliche Präsenz im Orient, der Wiege des Christentums, weiter zurückgehen, warnte der Bischof. Stationen der Reise waren Mossul, die christliche Kleinstadt Alkosh in der Ninive-Ebene sowie zahlreiche Städte und christliche Dörfer in der Autonomen Region Kurdistan. Begleitet wurde Bischof Freistetter u.a. vom Linzer Generaldechant und ICO-Obmann Slawomir Dadas.
Freistetter zeigte sich im Kathpress-Interview entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung, das er in Mossul erleben musste. Er sei bestürzt über die vielen Opfer, die die Schreckensherrschaft des IS mit sich gebracht habe und auch die Befreiung der Stadt habe nochmals unzählige Opfer gefordert. Sehr beeindruckt habe ihn die Begegnung mit dem chaldäischen Erzbischof von Mossul, Michael Najeeb Moussa. Dieser bemüht sich, den Boden dafür zu bereiten, dass wieder mehr Christen nach Mossul zurückkehren. Bislang seien es erst 50 Familien.
Positiv stimmten ihn die Berichte, dass die IS-Schreckensherrschaft auch bei Muslimen zu einem Umdenken geführt habe und es nun mehr Verständnis und Solidarität unter den verschiedenen Konfessionen und Religionen gibt, berichtete Freistetter. Er hoffe zudem sehr, "dass es gelingt, die internationalen und nationalen Projekte zum Wiederaufbau voranzubringen".
Der Besuch von Papst Franziskus in Mossul bzw. allgemein im Irak im März 2021 sei ein ganz entscheidendes Ereignis gewesen, bilanzierte der Bischof seine Gespräche mit den Christen vor Ort. Aber auch für viele Muslime sei es ein positives Erlebnis gewesen. Man könne die Wirkung eines solchen Besuches nicht allein in Zahlen oder Fakten bewerten, "sondern es ist sicher etwas geblieben in den Herzen der Menschen".
Freistetter und Dadas besuchten in Mossul u.a. auch jenen Platz inmitten mehrerer zerstörter Kirchen, den Papst Franziskus bei seinem Besuch aufgesucht hatte. "Wie der Papst dort in all dieser Zerstörung gestanden ist, dann kann man sich vorstellen, was das für die Menschen dort, besonders auch für die Christen bedeutet hat", so Freistetter.
Überschattet war der Besuch der Österreichischen Delegation vergangenen Woche von den Unruhen in Bagdad und weiteren Städten des Landes. Zahlreiche Personen kamen dabei ums Leben. Im Nordirak war die Lage aber ruhig. Die dramatische Sicherheitslage bekam allerdings der chaldäische Patriarch Louis Sako zu spüren. Dieser wollte von Bagdad nach Erbil reisen, um die ICO-Delegation zu treffen, was aber nicht möglich war.
"Zufluchtsort der Christen"
In der Autonomen Region Kurdistan sei die Situation für die kleine christliche Minderheit besser als in den anderen Landesteilen, berichtete Bischof Freistetter weiter. Kurdistan sei zu einem "Zufluchtsort der Christen aus dem ganzen Irak" geworden ist. Er hoffe sehr, dass die Region beispielgebend werde für ein gutes Zusammenleben der Völker und Religionen, so Freistetter.
Die irakische Wirtschaftskrise treffe die gesamte Bevölkerung gleichermaßen, für die christliche Präsenz vor Ort sei dies freilich nochmals dramatischer. Freistetter: "Die Christen brauchen dringend Arbeitsplätze." Es sei vor allem auch für die junge Generation die entscheidende Frage, ob es für sie im Land eine Zukunft gibt. Viele junge Christinnen und Christen seien sehr gut ausgebildet. "Aber wenn es für sie keine Möglichkeit gibt, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten einzusetzen, dann werden sie ihre Heimat verlassen müssen", warnte Freistetter. Und das wäre für das Land wie auch für die Präsenz des Christentums in der Region schlicht eine Katastrophe, so der Bischof.
Sein Besuch im Nordirak und die vielen Begegnungen mit den Menschen vor Ort hätten ihm die Augen geöffnet für die reiche christliche Geschichte und Kultur der Region. Beeindruckt zeigte sich der Bischof auch von den liturgischen Traditionen. Im Dorf Enishke feierte Freistetter gemeinsam mit ICO-Obmann Dadas und dem örtlichen Pfarrer Samir Youssif eine Messe im chaldäischen Ritus.
Die Traditionen der Christen im Irak reichten weit in die Zeit des Urchristentums zurück, betonte der Bischof: "Wir dürfen nicht vergessen, dass gerade dort die Wurzeln unseres Glaubens sind. Und so klein diese christliche Gemeinschaft inzwischen auch ist, es ist und bleibt eine der ältesten Kirchen. Ich glaube, dass wir das immer wieder auch in Europa in Erinnerung rufen müssen, damit unsere Solidarität und Hilfe mit diesen Menschen nicht nachlässt."
Die "Initiative Christlicher Orient" unterstützt seit mehr als 30 Jahren die Christen im Orient. Seit rund 20 Jahren ist das Hilfswerk im Irak aktiv. Bischof Freistetter ist in der Österreichischen Bischofskonferenz als Referatsbischof für Weltkirche auch für die kirchlichen Hilfswerke zuständig, die in aller Welt aktiv sind; so auch die ICO.