In der syrischen Stadt Homs wirkender Ordensmann Gerald Baumgartner berichtet bei Salzburger ICO-Tagung vom Alltag der Menschen: Ein Monatsgehalt für zehn Liter Benzin, viele Tage ohne Wasser und Strom - Wer Krebs hat, stirbt"
Salzburg, 20.09.2022 (KAP) Von unvorstellbarer Not in der syrischen Stadt Homs hat der oberösterreichische Jesuit Gerald Baumgartner bei der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) in Salzburg berichtet. Baumgartner lebt seit rund zwei Jahren in Homs im Jesuitenkloster und bekommt die Tragik einer vom Krieg zerstörten Stadt und einer katastrophalen wirtschaftliche und sozialen Situation hautnah mit. Es herrsche Mangel an den fundamentalsten Gütern", so der Jesuit zur aktuellen Lage.
Für subventionierte Grundnahrungsmittel wie Brot müsse man sich lange anstellen. Ein Liter Benzin koste derzeit 7.000 Lira, umgerechnet 1,8 Euro. Allerdings bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 70.000 bis höchstens 100.000 Lira. "Und die Preise steigen weiter." Beim jüngsten Sommerlager für seine Schützlinge sei das Brot ausgegangen. An manchen Orten gebe es auch tagelang kein Wasser mehr. "Strom gibt es vielleicht eine halbe Stunde am Tag. Und manchmal im Winter auch für einige Tage gar nicht." - Und das bei Temperaturen von Null Grad über mehrere Wochen im Winter. Katastrophal sei auch die medizinische Versorgung vor Ort. "Wer Krebs hat, stirbt", berichtete Baumgartner. Unzählige Menschen seien auf humanitäre Organisationen angewiesen. Dazu zählt etwa der Flüchtlingsdienst der Jesuiten.
Das Leben vor Ort sei unglaublich hart, so Baumgartner. Im vergangenen Winter schlief er mit vier Decken in seinem eiskalten Zimmer im Kloster, geduscht wurde mit meist eiskaltem Wasser. Die Not sei schlicht erdrückend. Von den jungen Menschen wollten sicher 90 Prozent das Land verlassen. Niemand könne es ihnen verdenken. Viele junge Männer würden zudem wegen des Militärdienstes fliehen, der in Syrien acht Jahre dauert.
Keine Perspektiven für die Jungen
Die kleine Gemeinschaft der Jesuiten im Kloster im Homs besteht aus fünf Ordensmännern: "Fünf Jesuiten aus fünf verschiedenen Nationen. Ein Franzose, ein Pole, ein Ägypter, ein Syrer und ein Österreicher", so Baumgartner. Rund 1.400 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen nehmen in der einen oder anderen Form an den Aktivitäten des Klosters teil, für die Fr. Baumgartner zuständig ist.
Es gibt Gruppenstunden, Workshops, Katechesen aber auch Sommerlager. "Wir wollen den Jugendlichen, den Studierenden, den Kindern einen Ort schaffen, wo sie durchatmen können, wo Frieden herrscht", so Baumgartner. Die jungen Menschen seien vom Krieg und der Not traumatisiert. Im Kloster würden die jungen Menschen auch erstmals so etwas wie "Rechtsstaatlichkeit" erleben, also Regeln, an die sich alle, auch die Jesuiten, zu halten hätten, so P. Baumgartner. Und: Man versuche, die Jugendlichen zu zivilem Verantwortungsbewusstsein zu erziehen.
Genaue Zahlen über die Zahl der Bewohner von Homs könne er nicht machen, sagte der Jesuit weiter. Vor dem Krieg sollen es zumindest 800.000 gewesen sein, nun sollen es noch zwischen 500.000 und 600.000 sein, "was ich aber nicht glauben kann angesichts der riesigen Viertel, die noch in Trümmern liegen und völlig unbewohnbar sind." Weite Teile der Stadt seien nach wie vor völlig zerstört.
Im Jesuitenkloster trenne man sehr strikt zwischen religiösen und humanitären Angeboten bzw. Aktivitäten, erläuterte Baumgartner. Religiöse Angebote gebe es nur für Christen, wenn Muslime daran teilnehmen würden, könnte das zu schwerwiegenden Problemen führen. Vor dem Krieg sei das Miteinander von christlicher Minderheit und muslimischer Mehrheit deutlich besser gewesen. Bei den humanitären bzw. sozialen Programmen sei man freilich offen für alle.
Persönlich Kraft schöpfe er zugleich auch aus dem Vorbild der Menschen vor Ort, die trotz all der Not ihren christlichen Glauben nicht verlieren und darin Halt und Trost finden, so Baumgartner: "Gehen wir doch einen Schritt aufeinander zu, lassen wir uns inspirieren von der Botschaft des Evangeliums und versuchen wir einander mehr zu lieben. Es geht auch in den schwierigsten Situationen."
"Unsere Gesellschaft ist stumm"
Auch in der nordsyrischen Metropole Aleppo ist die Situation nicht besser als in Homs, berichtete der syrische Franziskaner P. Ibrahim Alsabagh in seinen Ausführungen. 60 Prozent der Stadt seien nach wie vor zerstört. Mehr als 85 Prozent der Bevölkerung würden unter der Armutsgrenze leben. "Unsere Gesellschaft ist stumm - vor Hunger und Krankheit", brachte Alsabagh seinen und auch den Befund von P. Baumgartner auf den Punkt. Alsabgh kam auch auf die westlichen Sanktionen zu sprechen, die die arme Bevölkerung noch mehr ins Elend gestürzt hätten.
Der seit 2014 in Aleppo wirkende Alsabagh ist Pfarrer der örtlichen römisch-katholischen (lateinischen) Pfarre St. Francis und Ordensoberer der kleinen Franziskanergemeinschaft in der nordsyrischen Metropole. Aktuell gebe es in der Stadt höchstens eine Stunde am Tag Strom, immer weniger Wasser und nun auch immer weniger Brot. Der Hunger bestimme den Alltag der einfachen Menschen.
P. Alsabagh berichtete von einem einschneidenden Erlebnisse. "Als wir Kinder bei uns im Kloster mit Sandwiches verköstigten, haben einige nur die Hälfte gegessen. Die andere Hälfte haben sie für ihre Geschwister mit nach Hause genommen."
Die unvorstellbare Not hat die Franziskaner veranlasst, vor rund einem Jahr eine Suppenküche einzurichten. Inzwischen wurden bereits weit mehr als 200.000 Mahlzeiten an arme Familien, alte und alleinstehende Menschen, Kranke und Behinderte, Christen wie Muslimen ausgegeben. Finanziert wird die Suppenküche maßgeblich von der ICO.
Darüber hinaus haben die Franziskaner aber seit 2016 insgesamt rund 40 Hilfsprojekte umgesetzt. Von der Renovierung von Häusern, Hilfe für Alte und Behinderte oder auch mit der Finanzierung von kleinen Geschäften oder Werkstätten, damit die Menschen vor Ort Arbeit haben.
Die ICO-Jahrestagung im Bildungshaus St. Virgil ist heuer ganz Syrien gewidmet. Die ICO unterstützt seit mehr als 30 Jahren die Christen im Orient. Zahlreiche Hilfsprojekte werden jedes Jahr in Syrien, im Irak, im Libanon, in Palästina und in Jordanien umgesetzt. Laut Jahresbericht konnte die ICO 2021 insgesamt 93 Projekte mit einem Wert von gut 1,3 Millionen Euro realisieren. In Syrien waren es 30 Projekte mit einem Gesamtvolumen von mehr als 522.000 Euro. (Infos: www.christlicher-orient.at)
Jahrestagung der Initiative Christlicher Orient in Salzburg eröffnet - Deutsche Syrien-Expertin Helberg hält politische Lösung des Syrien-Konflikts aktuell für unrealistisch und plädiert stattdessen für eine Art Konfliktmanagement, um auf der praktischen Ebene die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen