Ukrainische Juristin und Menschenrechtlerin Matwijtschuk erneuert bei Konferenz der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien Forderung nach rascher Einrichtung von internationalem Sondergerichtshofs - "Kreislauf der Straflosigkeit durchbrechen"
Wien/Kiew, 16.02.2023 (KAP) Die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk hat ihre Forderung nach der umgehenden Schaffung eines internationalen Sondergerichts für russische Kriegsverbrechen bekräftigt. "Wir müssen Putin, Lukaschenko und andere russische Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen - und wir dürfen nicht mehr damit warten", sagte die online zugeschaltete Juristin und Menschenrechtsaktivistin am Mittwochabend im Rahmen der aktuellen Konferenz "War in Ukraine" an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Die Prozesse müssten jetzt und nicht erst nach dem Krieg beginnen, damit auch potenziellen Tätern klar werde, dass sie nicht straflos davonkommen. "Das kann Menschenleben retten", betonte Matwijtschuk.
Russland habe das Verursachen von Schmerz zu einem Instrument der Kriegsführung gemacht, so die Friedensnobelpreisträgerin weiter. Russische Truppen hätten in den vergangenen Jahren auch in Tschetschenien, Georgien, Libyen oder Syrien furchtbare Verbrechen begangen. "Und sie sind dafür nie bestraft worden. Die Russen beginnen zu glauben, dass sie tun können, was sie wollen. Wir müssen den Kreislauf der Straflosigkeit durchbrechen", forderte die Juristin.
Als Vorsitzende des Kiewer Zentrums für Bürgerliche Freiheiten (Centers for Civil Liberties, CCL) hatte Matwijtschuk Ende 2022 neben anderen Menschenrechtlern den Friedensnobelpreis erhalten. Ihre Organisation habe inzwischen 31.000 Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert, sagte Matwijtschuk bei dem Wiener Symposion: "Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs."
Die Juristin betonte gleichzeitig, man müsse die Opfer beim Namen nennen und nicht bloß von Zahlen sprechen. CCL dokumentiere daher auch nicht nur Verstöße gegen die Genfer und Haager Konventionen, sondern tausendfach konkretes menschliches Leid. Ein internationales Tribunal, sei es unter dem Dach der UNO oder auch des Europarats, werde freilich nur einige Fälle untersuchen können. Auch allen anderen Opfer müsse jedoch Gerechtigkeit widerfahren, da sich der Ruf nach Gerechtigkeit sonst leicht in einen Ruf nach Rache wandeln könne.
Es sollte daher "darüber nachgedacht werden, wie wir die universelle Gerichtsbarkeit in verschiedenen Ländern nutzen können, die ebenfalls ihre eigenen Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine einleiten und uns bei der Verfolgung der Täter helfen können", sagte Matwijtschuk.
Ukraine hat Recht auf Verteidigung
Keinerlei Verständnis zeigte sie für Forderungen, wonach die Ukraine nicht kämpfen, sondern Friedensverhandlungen mit Moskau suchen solle. Derartige Forderungen seien nicht nur falsch, sondern "unmoralisch", betonte Matwijtschuk. Sie habe als Menschenrechtlerin seit 2014 im Osten der Ukraine Kriegsverbrechen dokumentiert und wisse genau, wie die Welt vor der russischen Invasion die Augen gegenüber dem Leid der Zivilisten verschlossen habe. Die Russen töteten Unbewaffnete, so Matwijtschuk. Daher brauche die Ukraine auch Waffen "zur Verteidigung des Volkes und unserer Entscheidung für Demokratie".
Putin habe den Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht begonnen, weil er Angst vor der Nato habe, sagte die Menschenrechtsaktivistin weiter. "Putin hat Angst vor der Idee der Freiheit, die sich seinen eigenen Grenzen genähert hat. Und in dieser Hinsicht ist das nicht nur ein Krieg zwischen zwei Staaten. Es ist ein Krieg zwischen zwei Systemen, zwischen Autoritarismus und Demokratie."
Nachwuchswissenschaftler analysieren religionspolitische Lage
Das Symposion "War in Ukraine - Theological, Ethical and Historical Reflections" dauert noch bis 17. Februar. Es wurde von einer Gruppe von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachbereichen der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien initiiert, die damit ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und mit ihren Kollegen setzen wollen.
Zu Wort kam etwa der Lemberger Theologe Andrii Tretiak, der dafür plädierte, die Tradition des "gerechten Krieges" mit der Idee des "gerechten Friedens" zu verbinden. Ein solcher Frieden könne nur unter klarer Benennung von Recht und Unrecht zustande kommen. Andere Referenten wie der Theologe Pavlo Smytsnyuk von der Universität Princeton analysierte die seines Erachtens teils zurückhaltende, teils ambivalente Positionierung des Vatikans und von Papst Franziskus zum Krieg. Dabei könne die Autorität religiöser Instanzen in kriegerischen Konflikten als Vermittler nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Weitere Vorträge griffen u.a. Fragen geopolitischer Konflikte mit Russland im 20. Jahrhundert, die ideengeschichtlichen Hintergründe der Rede von einer neuen "Russischen Welt" sowie aktuelle mythologisch wie popkulturell aufgeladene Diskurse etwa über aktuelle Deutungen von J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe" im Blick auf den Krieg auf. Kritisch analysierten die Nachwuchswissenschaftler Roman Sigov und Iuliia Korniichuk die Wahrnehmung des Krieges in Europa. Dabei zeigten sie auf, wie die westeuropäische Öffentlichkeit und politische westliche Eliten lange Zeit das russische Narrativ einer Dominanz Russlands in Osteuropa akzeptierten und dabei imperialistische Volten der russischen Politik übersahen.
Auch die der Russisch Orthodoxen Kirche (ROK) in Westeuropa eingeräumte Priorisierung gegenüber anderen Ostkirchen gehe auf einen mythologisch-verklärten Blick auf Russland zurück, zeigten sich die Referenten überzeugt. (Infos: https://ktf4ukraine.univie.ac.at)