Kärnten: Europäische Toleranzgespräche 2023 in Fresach eröffnet
25.05.202312:57
Österreich/Kirche/Evangelische/Gesellschaft
Noch bis Samstag hochkarätige Referenten zum Thema "Wachstum am Ende - Was jetzt?" - Auftakt-Veranstaltung in Villach - Ehemaliger Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland plädiert für lebensdienliche Haltung
Klagenfurt, 25.05.2023 (KAP) Zu deutlich schärferen Worten im Hinblick auf das "Genug" hat der evangelische Theologe Nikolaus Schneider zum Auftakt der Europäischen Toleranzgespräche ermutigt. Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) betonte im Gespräch mit der ORF-Journalistin Renata Schmidtkunz am Mittwochabend zum Thema "Ethik des Genug", wie wichtig es sei, im Dialog zu bleiben und eine "lebensdienliche Lebenshaltung" einzunehmen.
Schneider machte kein Hehl daraus, dass es zum komplexen Thema der Europäischen Toleranzgespräche - das 2023 "Wachstum am Ende - Was jetzt?" lautet -, keine einfachen Antworten gebe. Im Rahmen der Toleranzgespräche werden im Kärntner Bergdorf Fresach von Donnerstag bis Samstag ethische wie ökologisch-ökonomische Perspektiven aufgezeigt.
Der Mensch habe als Teil der Schöpfung eine bestimmte Verantwortung, sagte Schneider im Bambergsaal in Villach. Laut Bibel soll er für Wachstum sorgen und sich die Erde untertan machen, aber auch die Erde bebauen und bewahren. Diese beiden Aufträge geraten heute in Konkurrenz zueinander.
Zum Begriff Ethik meinte der ehemalige Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, dieser Begriff "verweist darauf, dass Menschen in Verantwortung vor die Aufgabe gestellt sind, nicht nur sachgerecht, sondern menschengerecht zu wirken". Sein Appell: "Wir sollten uns an einer Ethik des Genug orientieren! Die Ethik des Genug zielt darauf, dass Menschen ein lebenswertes Leben gelingt." Statt sich einer "tagesaktuellen Gier auszuliefern" gelte es, sich nach ethischen Vorgaben zu richten. "Nehmen Sie eine Lebenshaltung ein, die lebensdienlich ist!", so sein Appell.
Schärferer prophetischer Ton
Schneider verwies auch auf die Propheten des Alten Testaments, die von Gott berufen, vor Unheil gewarnt haben. Im Hinblick auf die Kirche von heute meinte er, er frage sich "ob wir nicht einen schärferen prophetischen Ton aufnehmen sollten". So wie Jeremia, der klare Worte fand: "Hört auf, die Welt schönzureden!" Schneider gab zu, er sehe sich nicht legitimiert, er habe auch keinen Ruf Gottes gehört, so wie die Propheten der Bibel. Aber "was wir von ihnen lernen können, ist die Klarheit der Sprache. Die meisten Propheten sind gescheiterte Figuren. Aber sie waren Zeugen der Wahrheit Gottes."
Deutliche Worte fand Schneider auch zum Turbokapitalismus, der - im Gegensatz etwa zu einem Kind, das langsam und gesund heranwächst - auf schnelles Wachstum aus ist. "Ein rein finanzgetriebener Kapitalismus wird die Erde unbewohnbar machen, weil er ethisch blind ist"
Evolution oder Revolution
Auf die Frage, ob er den Weg der Evolution oder der Revolution bevorzuge, antwortete der frühere höchste Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland, er sei für einen evolutionären Prozess. Revolution könne zu keinen vernünftigen Ergebnissen kommen. "Wir müssen viele Menschen gewinnen", betonte Schneider. "Unsere Kraft ist die Kraft der Überzeugung. Es ist der Versuch, Menschen durch Argumente zu gewinnen." Man könne niemanden zu einem genügsamen Lebensstil zwingen, sondern nur dazu einladen. Wenn sich viele Menschen an vielen Orten in dieselbe Richtung bewegen, könne sich etwas verändern. Bei der Ethik des Genug gehe es nicht um die Frage "Was habe ich davon?", sondern darum, "wie leben wir miteinander?"
Hochkarätige Referenten
Die Veranstaltung findet heuer zum neunten Mal statt. Die Eröffnungsrede hielt am Donnerstagvormittag die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz zum Thema "Wachstum am Anfang". Zu Wort kommen u.a. die Klimaaktivistin Lena Schilling, der Gemeinwohlexperten Christian Felber, der katholischen Theologe Paul Zulehner sowie der frühere evangelische Bischof Michael Bünker. Über 30 Expertinnen und Experten aus Philosophie und Religion, Wirtschaft und Wissenschaft stellen sich der Debatte.
Laut Organisatoren verfolgen die Debatten jedes Jahr 60 bis 80 Besucher vor Ort, dazu kommen 500 bis 2.000 Zuseher via Livestream. Die Gespräche finanzieren sich durch öffentliche Subventionen und Sponsoren. (Infos: www.fresach.org)