Theologe Hovorun bei "Dies facultatis" der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien: "Es begann alles mit Ideen - und der Krieg wird nur dann enden, wenn sich diese Ideen ändern, die zu ihm geführt haben" - Vizerektorin: Fakultät demonstriert Relevanz der Theologie
Wien, 17.10.2023 (KAP) Russland greift zur Rechtfertigung des Angriffskrieges auf die Ukraine auf Motive einer tief verwurzelten orthodoxen politischen Theologie mit "klerikal-faschistischen" Zügen zurück. Das hat der orthodoxe Theologe Cyril Hovorun bei einem Vortrag am Montagabend an der Universität Wien betont. Der russische Präsident Wladimir Putin werde in der politisch-theologischen Lesart als "Katechon" gesehen, d.h. als jener, der den "Antichristen" aufhält, den die russisch-orthodoxe Kirche im Westen sieht. "Wo Putin ist, da ist Russland - wo kein Putin ist, da ist auch kein Russland mehr" - so laute die Gleichung, die den Präsidenten theologisch überhöhe und seinen Krieg in der Ukraine als Verteidigung Russlands deute.
Hovorun war Festredner beim diesjährigen "Dies facultatis", mit dem die Katholisch-Theologische Fakultät offiziell ins neue Studienjahr startete. Der Theologe stammt aus der Ukraine. Er gehört der russisch-orthodoxen Kirche an und wurde für seine harsche Kritik am russischen Patriarchen Ende September von seinem Priesteramt suspendiert. Hovorun lehrt aktuell u.a. internationale Beziehungen und Ökumene am University College Stockholm und gilt als ausgewiesener Kenner der religionspolitischen Lage in der Ukraine und Russland.
Anhand zahlreicher Beispiele zeigte Hovorun die Inszenierung der Einheit von Staatsführung und Religion auf. Nicht zufällig erinnere dies an nationalsozialistische Inszenierungen und Mobilisierungsformen, habe doch auch der Nationalsozialismus etwa in Form des Juristen Carl Schmitt seine Legitimation aus der politisch-theologischen Unterscheidung von Freund und Feind gezogen. Dieses Verständnis von Religion könne sich zwar auf eine lange Tradition bis in die Antike stützen, zugleich aber müsse es immer wieder "dekonstruiert" werden und auf seinen anti-westlichen und letztlich anti-biblischen, ideologischen Kern hingewiesen werden. Dieser zeige sich etwa auch aktuell darin, dass Russland die Anschläge der Hamas auf Israel nicht verurteilt.
Dennoch gebe es Hoffnung, zeigte sich Hovorun überzeugt - schließlich sei die aktuelle theologische Linie nicht gleichzusetzen mit "der" russisch-orthodoxen Theologie. Es gebe auch hier durchaus kritische Geister, die aus dem Freund-Feind-Schema ausbrechen und den Schaden sehen, der durch die aktuell herrschende politisch-theologische Ideologie entsteht. "Es begann alles mit Ideen - und der Krieg wird nur dann enden, wenn sich diese Ideen ändern, die zu ihm geführt haben."
Fakultät demonstriert Relevanz der Theologie
In ihren Begrüßungsworten lobte die Vizerektorin der Universität Wien, Prof. Christa Schnabl, das Bemühen der Katholischen Fakultät, aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen und so "die Relevanz der Theologie deutlich zu machen". Die aktuellen Kriegsschauplätze in der Ukraine und jüngst auch in Berg-Karabach und Israel würden deutlich machen, wie sehr religiöse Aspekte im Kontext von Deutung und Rechtfertigung von Gewalteskalationen nach wie vor eine Rolle spielten, so Schnabl.
Dies alles zeige, wie sehr Theologie gefragt sei, um eine Perspektive des Friedens und des friedvollen Zusammenlebens zu entwickeln. Dass diese Aufgabe auch von der Universität insgesamt gewürdigt werde, demonstrierte Schnabl mit dem Hinweis darauf, dass Theologie thematisch in zumindest vier von aktuell sechs Schwerpunkten der Universitäten Entwicklungsstrategie eine Rolle spiele.
Auch die Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät, Prof. Andrea Lehner-Hartmann, unterstrich den Anspruch der Theologie, in den aktuellen vielfältigen Krisensituationen "Perspektiven aufzuzeigen, die Auswege und Hoffnungen erahnen lassen". Dies setze allerdings voraus, "unerschrocken zu analysieren, wo sich Religion missbrauchen lässt" und wo "Friedens- und Freiheitsmomente" von Religion in "Unterdrückungs- und Gewaltsysteme transformiert" würden.
Dem Vortrag ging weiters die Ehrung der besten Abschlussarbeiten und Dissertationen des vergangenen Jahres voraus. Für herausragende Dissertationen wurden ausgezeichnet: Magdalena Kraler für eine religionswissenschaftliche Arbeit zum Thema "Yoga breath. The reinvetion of Prana and Pranayama in early modern Yoga", Katharina Mairinger-Immisch für ihre religionssoziologische Arbeit zum Thema "Ambige Körper. Über die Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen in Theologie und Kirche" und Phocas Niwemushumba für eine Arbeit über "Spezielle Heilungspraktiken in neutestamentlichen Wundererzählungen". Die Preise für herausragende Diplomarbeiten gingen an Michaela Rammer, Gregor Steininger und Eva Elisabeth Holder.
Dem Eröffnungsgottesdienst in der Wiener Schottenkirche, der heuer zum zweiten Mal im byzantinischen Ritus stattfand, stand der Wiener Theologe und Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, Prof. Thomas Németh, vor. In seiner Predigt plädierte Németh angesichts der Krisen- und Kriegsereignisse der jüngsten Zeit für eine "Spiritualität der offenen Augen". Religionen hätten die Aufgabe, "den Ohnmächtigen eine Stimme zu geben" - nicht jedoch Kriege zu legitimieren oder gar zu Gewalt zu motivieren. Den Gottesdienst feierte außerdem der Generalvikar des Ordinariats für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen, Yuriy Kolasa, mit. (Infos: http://ktf.univie.ac.at)
Aufgenommen beim "Dies facultatis" der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien am 16.10.2023
Aufgenommen am 16. Oktober 2023 - Gastredner: Prof. Cyril Hovorun (3. v.l.)
v.l.: Prof. Cyril Hovorun (Festvortragender), Prof. Andrea Lehner-Hartmann (Dekanin), Prof. Christa Schnabl (Vizerektorin) beim "Dies facultatis" der Kath.-Theol. Fakultät Wien am 16. Oktober 2023
Aufgenommen beim Semestereröffnungsgottesdienst der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien am 16. Oktober 2023 in der Wiener Schottenkirche