Nahost-Experte: Christen im Südlibanon in schwieriger Lage
18.04.202414:09
Libanon/Krieg/Soziales/Christen/ICO
Stefan Maier vom Hilfswerk "Initiative Christlicher Orient" (ICO) im "Tagespost"-Interview über Scharmützel zwischen Hisbollah und israelischer Armee, die besonders die christlichen Dörfer betreffen
Linz/Würzburg, 18.04.2024 (KAP) Unter den Scharmützeln zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär würden im Südlibanon vor allem die Christen leiden. Darauf hat der Nahost-Experte Stefan Maier vom Hilfswerk "Initiative Christlicher Orient" (ICO) im Interview mit der "Tagespost" hingewiesen. Er analysierte zudem die Rolle der Hisbollah im Konflikt zwischen der Hamas und Israel und wies auf die verheerende soziale Situation im Libanon hin.
Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sei gewiss nicht mit der Hisbollah abgestimmt gewesen, so Maier, "denn wenn es auch aus dem Libanon Raketen geregnet hätte, wäre Israels Abwehrschirm 'Iron Dome' wohl überfordert gewesen". Die Hisbollah verfüge über ein gewaltiges Raketen- und Waffenarsenal, welches dem der Hamas bei Weitem überlegen sei. "Bisher tut die Hisbollah nur das, was sie tun muss, um das Gesicht nicht zu verlieren, aber ein strategisches Vorgehen sähe anders aus", so die Analyse des Nahost-Experten.
Angesichts ihrer Stärke könnte die Hisbollah, wenn sie wollte, den libanesischen Staat "binnen 48 Stunden übernehmen", so Maier. Die Hisbollah habe bereits einmal in der Vergangenheit die Waffen gegen die eigenen Landsleute gerichtet. Maier: "Die Hisbollah verteidigt die eigenen Interessen und die des Iran." Leider benutze sie dafür auch christliche Dörfer im Süden des Libanon. Maier: "Wenn sie von dort aus Raketen nach Israel abfeuert, treffen die israelischen Vergeltungsschläge diese christlichen Dörfer - und nicht die der Schiiten. Wo Raketen herkommen, dorthin wird geschossen. So werden die Christen zu Opfern dieses ständigen Kleinkrieges."
Maier: "Viele Häuser wurden beschädigt, die Landwirte können ihre Felder nicht mehr bestellen, etliche Familien flohen nach Beirut. Niemand kann sich hier noch sicher fühlen." Der Trend zur Emigration sei schon lange stark, nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise, aber jetzt könnte er weiter wachsen. Allerdings bekomme im Libanon nur noch einen Pass, wer ein gültiges Flugticket vorweisen kann, so Maier.
Die Christen würden besonders leicht emigrieren, "weil sie überdurchschnittlich gebildet sind und fast alle im Ausland Freunde oder Verwandte haben. Jeder träumt davon, das Land zu verlassen". Wer heute im Libanon keinen Zugang zu US-Dollar hat, "ist aufgeschmissen", so Maier: "Die Inflation beträgt 173 Prozent, aus dem öffentlichen Netz kommt kaum noch Strom, die Arbeitslosigkeit ist exorbitant hoch, Medikamente sind unerschwinglich." Ohne die Diaspora und ihre Überweisungen wäre das Land längst zusammengebrochen.
Der Libanon sei seit längerer Zeit auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat, so Maier: "Es gibt keine funktionierende Regierung; man einigte sich nicht auf einen neuen Staatspräsidenten nach dem Auslaufen der Amtszeit des Vorgängers. Der Libanon wird schleichend immer fragiler, auch weil jetzt die Kampfhandlungen der schiitischen Hisbollah mit Israel im Süden des Landes intensiviert werden. Es gibt auf libanesischer Seite schon mehr als 200 Todesopfer. Und die Libanesen haben riesige Angst, dass sie ganz in diesen Krieg hineingezogen werden."
Die ICO versucht mit einigen Hilfsaktionen - etwa Suppenküchen oder Verpflegung für Schulkinder - die Not ein wenig zu lindern. Maier: "Wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass wir Suppenküchen im Libanon betreiben und Lebensmittelpakete verteilen müssen, hätte ich das nicht für möglich gehalten."