"Zeitliche Sündenstrafen", "Fegefeuer", "Gnade Gottes" und Versöhnung - Im Heiligen Jahr soll auch der nicht zuletzt aus historischen Gründen oft verstellte tiefere Sinn des Ablassgedankens besser verständlich gemacht werden
Wien/Rom, 06.12.2024 (KAP) Mindestens Stirnrunzeln löst der Begriff bei vielen Menschen aus: Der "vollkommene Ablass" für das Heilige Jahr 2025 wirft erneut die Frage auf, was die katholische Kirche darunter versteht. "Es geht um Barmherzigkeit und Verzeihung", betont etwa der vatikanische Heilig-Jahr-Verantwortliche Erzbischof Rino Fisichella in den vergangenen Monaten mehrfach und rief dazu auf, den tiefen Sinn des Ablassgedankens heute besser verständlich zu machen. Auch Papst Franziskus habe bei der Ankündigung des Heiligen Jahres 2025 betont, dass Ablass nichts anderes bedeute als die Gnade Gottes, so der Kurienverantwortliche.
Der Ablass ist also nach katholischem Verständnis ein Zeichen der Gnade, der den Menschen von den sogenannten "zeitlichen Sündenstrafen" befreit. Im Sakrament der Versöhnung (Beichte) wird dem reuigen Sünder nach dem Bekenntnis die Sündenvergebung durch Gott zugesprochen. Der theologische Ausdruck von den "zeitlichen Sündenstrafen" meint in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass Gott zwar die Sünden vergibt, aber dann ähnlich einem weltlichen Gericht Strafen für Misstaten und Versäumnisse verhängt: Vielmehr sind damit die Nachwirkungen von Sünden gemeint, die zwar im Bußsakrament bereits vergeben wurden, aber deren Auswirkungen die Menschen weiter belasten.
Mit der "Narbe einer geheilten Wunde" vergleicht dies der an der internationalen Benediktiner-Hochschule von Sant'Anselmo in Rom lehrende österreichische Kirchenrechtler Pater Laurentius Eschlböck. "Es gibt (egoistische) Handlungen, die mich auf Distanz zu Gott und meinen Mitmenschen bringen, absondern. Der herkömmliche Begriff dafür lautet Sünde. Solche Sünden können mir durch das Sakrament der Wiederversöhnung vergeben werden. Dennoch bleibt auch nach einer Vergebung ein gewisser 'Schaden' übrig", erklärt er auf Kathpress-Anfrage.
Auch diese Sündenstrafen können durch geistliche Übungen - durch Gebet, Wallfahrt oder Werke der Barmherzigkeit - nachgelassen werden. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang der Blick auf das kirchenamtliche Wort für "Ablass", das lateinische "indulgentia", das ursprünglich Nachsicht, Güte und Zärtlichkeit bedeutet. Wer sich um einen Ablass bemüht, darf sich nach Lehre der Kirche gewiss sein, der Nachsicht und Güte Gottes zu begegnen, um dadurch auch selbst nachsichtiger und gütiger zu werden.
"Ziel unseres Lebens ist die himmlische Gemeinschaft mit Gott. Durch unser Eingebundensein in diese Welt sterben wir vermutlich nicht in einem Zustand, der uns ein sofortiges Eingehen in diese Gemeinschaft mit Gott erlaubt. Um uns auf diese Gemeinschaft mit Gott vorzubereiten, ist eine Art der 'Reinigung' notwendig", erklärt Eschlböck. Das Konzil von Trient (1545-1563) habe dafür den Begriff "Purgatorium" gewählt, ohne jedoch sich näher festzulegen, wann, wo und auf welche Art und Weise dieses Reinigungsgeschehen passiert, so der Experte. Und auch der deutsche Begriff "Fegefeuer" bringe mehr Unklarheiten als Klarheit mit sich.
Ablasshandel heute verboten
Die Zeit des Reinigungsgeschehens jedenfalls kann durch Werke der Barmherzigkeit schon zu Lebzeiten verringert oder nachgelassen werden, erklärt Eschlböck. In vergangenen Zeiten konnte statt eines selbst verrichteten Werkes der Barmherzigkeit auch ein finanzieller Beitrag geleistet werden, verweist der Kirchenrechtler auf die Zeit des Spätmittelalters als das Ablasswesen zu einer gesellschaftlich akzeptierten Form der Finanzierung von Kirchen- und Klosterbauten, Brücken oder Deichen wurde. "Daraus entstand die Fehlentwicklung des Ablasshandels."
In deutschsprachigen Ländern trug die damalige Ablasspraxis wesentlich zu Reformation und Kirchenspaltung bei. "Wir wissen, welche Karikatur die katholische Kirche im 16. Jahrhundert aus diesem wertvollen Inhalt gemacht hat", beschönigt auch Kurienerzbischof Fisichella hier nichts. Als Reaktion auf die Kritik Martin Luthers verbot das Konzil von Trient 1563 den Ablasshandel, bestätigte aber im Wesentlichen die Lehre vom Fegefeuer und von den zeitlichen Sündenstrafen.
Steirischer Priester: Ablass ein spiritueller Weg
Die heutige katholische Ablasslehre wurde von Papst Paul VI. 1967 neu festgelegt. Demnach unterscheidet die Kirche zwischen einem teilweisen und einem vollkommenen Ablass. Beide kann zu bestimmten Anlässen jeder Katholik erwerben, der nach Beichte, Eucharistie und Gebeten die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt.
An den jüngsten Schreiben zum Heiligen Jahr falle auf, dass weder Papst Franziskus in der Ankündigungs-Bulle "Spes non confundit" (Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen) noch in den offiziellen Erläuterungen "Über die Gewährung eines Ablasses" das Wort "Sündenstrafen" verwendet wird, analysiert der Priester Alfred Jokesch in einem Beitrag für das steirische "Sonntagsblatt". "Offenbar nimmt auch das kirchliche Lehramt hier eine Akzentverschiebung vor. Wohl aber spricht Papst Franziskus davon, dass Sünde Folgen hat und Spuren hinterlässt", so Jokesch, der den Ablass als spiritueller Weg betont.
"Die Lehre vom Ablass ist in diesem Sinne nicht als formelles Absolvieren von Ritualen zu verstehen, bei denen ich gleichsam Stempel in meinem Ablass-Pass sammle", schreibt der Priester: "Der Ablass ist die Frucht der Bereitschaft, mich auf einen spirituellen Weg einzulassen, der meinem Leben eine neue Richtung gibt. Die einzelnen Schritte, die hier genannt werden, können mir dabei helfen." Jokesch: "Wenn ich eine Wallfahrt unternehme, habe ich Gelegenheit, meine Lebenswege zu betrachten. Vielleicht werden mir dabei manche Irrwege, Umwege oder Sackgassen bewusst, in die ich mich verrannt habe, und es kommen mir Gedanken in den Sinn, was mich daraus befreien kann. Wenn ich die Gräber der Apostel besuche und die Pilgerstätten, an denen Heilige gewirkt haben, dann kann ich aus deren Lebensbeispiel oder durch die geistige Nähe zu ihnen Orientierung finden. Wenn ich die Heilige Pforte durchschreite, kann ich es in dem Bewusstsein tun, dass ich eintrete in den heilsamen Raum der göttlichen Liebe. Wenn ich die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie empfange, kann es mir Kraft schenken für einen Neuanfang."