1.171 obdachlose Frauen und 1.529 Kinder fanden seit 2010 allein im Wiener Mutter-Kind-Haus Luise Schutz - Hausleiterin Ferner-Unger: Betroffene Gruppe gesellschaftlich wenig präsent - "Vorstadtweib" Drassl wirbt für mehr Achtsamkeit
Wien, 06.05.2025 (KAP) Das Caritas-Mutter-Kind-Haus Luise im 15. Wiener Gemeindebezirk bietet obdachlosen Müttern Unterstützung und einen sicheren Wohnort für bis zu zwei Jahre. Es sei ein echtes "Mutmachprojekt", erklärte der Wiener Caritasdirektor Klaus Schwertner bei einem Hintergrundgespräch am Dienstag. Das Haus, das heuer sein 15-jähriges Bestehen feiert, habe in den vergangenen Jahren 1.171 Frauen und 1.529 Kindern Obdach gegeben. Oft lebten Frauen in verdeckter Wohnungslosigkeit, darum sei das Thema in der Gesellschaft wenig präsent, betonte Claudia Ferner-Unger, die Leiterin des Hauses. Mit prominenter Unterstützung der Schauspielerin Gerti Drassl hat die Caritas den bevorstehenden Muttertag (11. Mai) zum Anlass genommen, um für "Solidarität statt Blumen" zu werben und um Spenden zu bitten.
"Obdachlose Mütter kommen relativ spät und nach einer langen Leidensgeschichte zu uns, weil sie in der Angst leben, ihre Kinder aufgrund der Wohnungslosigkeit zu verlieren", erklärte Ferner-Unger. Viele Frauen versuchten zunächst, im Bekanntenkreis unterzukommen, oder gingen schwierige Beziehungen zu Männern ein, um ihre Wohnungslosigkeit zu verstecken oder zu überbrücken. Viele kämen mit niedrigem Selbstwertgefühl, weil man ihnen gesagt habe, eine schlechte Tochter, Ehefrau oder Mutter zu sein. "Wir versuchen, Frauen durch Beziehungsangebote wieder zu stabilisieren", so Ferner-Unger, die Mütter ermutigen will, nach Hilfe zu fragen. Im Haus Luise könnten Frauen auch nachts oder am Wochenende recht unkompliziert aufgenommen werden. "Unser Ziel ist es, dass Mütter und Kinder später eigenständig in einer Wohnung leben können, dass sie lernen, ihre Schulden zu regulieren und ihre Ansprüche geltend zu machen."
"Ich habe hier ein Zuhause gefunden, in dem ich gewachsen bin. Hier habe ich zu meiner alten Stärke zurückgefunden, die ich verloren hatte, als ich hierherkam", erzählte eine ehemals Betroffene. Frau E. kam im achten Schwangerschaftsmonat ins Mutter-Kind-Haus Luise. Mütter hätten aus Angst, ihr Kind zu verlieren, oft auch Angst, sich an Beratungsstellen zu wenden. Im Haus habe sie durch die Rund-um-die-Uhr-Betreuung und andere Frauen mit mehr Kindererfahrung ein "Babylexikon" vorgefunden und auch viel anderes gelernt. "Ich habe Perspektiven gewonnen, erfahren, dass ich einen Anspruch auf Mindestsicherung und Kindergeld habe", berichtete die Mutter einer heute zehnjährigen Tochter. Nach zweieinhalb Jahren zog sie mit dieser in eine Gemeindewohnung. "Ich bin jetzt glücklich und kann immer noch jederzeit im Haus Luise anrufen, wenn ich Rat brauche", erzählte Frau E.
276.000 Frauen armutsbetroffen
Schwertner wies mit Blick auf die aktuellen EU-SILC-Zahlen zur Armut in Österreich und das neue Regierungsprogramm auf die schwierige Lage von Frauen und alleinerziehenden Müttern hin. Laut den Zahlen der Statistik Austria zu Einkommen, Armut und Lebensbedingungen in Österreich sind aktuell 276.000 Frauen armutsbetroffen. 79.000 Kinder wachsen in erheblicher Armut auf. 143.000 Frauen können sich nicht die notwendigsten Dinge wie Kleidung oder Miete leisten. Einelternhaushalte seien überproportional von Armut betroffen, davon sind 86 Prozent alleinerziehende Frauen. Verantwortlich dafür sei unter anderem der Gender Pay Gap, der in Österreich bei 18,3 Prozent liege. Hinzu komme der sogenannte Motherhood Pay Gap: Mütter verdienen nach einer Geburt beim Wiedereintritt ins Berufsleben durchschnittlich um 40 Prozent weniger.
Der Wiener Caritasdirektor warnte vor negativen Konsequenzen für Frauen und Kinder bei den von der Regierung geplanten Einsparungen im Sozialbereich: "Es braucht dringend strukturelle Maßnahmen, um Gleichberechtigung in Österreich voranzubringen und so Frauen- und Kinderarmut wirksam zu bekämpfen", so seine Forderung. Gleichzeitig dürfe es keine weiteren Einschnitte bei der Sozialhilfe geben, wie sie derzeit von der Bundesregierung geplant sind. "Die Anrechnung der Familienbeihilfe oder Kürzung des Kinderzuschusses würde zahlreiche Mütter und Kinder treffen, genauso wie das Aussetzen der automatischen Valorisierung von Familienleistungen", mahnte Schwertner. Stattdessen müsse die Reform der Sozialhilfe auf ein armutsfestes Niveau umgesetzt werden, um die Situation von armutsbetroffenen Familien nicht weiter zu verschärfen.
"Gegenseitig Scham und Ängste nehmen"
Mehr Verständnis für die Situation armutsgefährdeter und obdachloser Mütter forderte die aus der ORF-Serie "Vorstadtweiber" bekannte Schauspielerin Gerti Drassl. "Ich bin selber Mama und wünsche mir, in einer Gesellschaft zu leben, in der wir achtsam und gegenseitig aufeinander schauen, einander zuhören und uns unsere Scham und Ängste nehmen", sagte die Mimin im Interview mit Kathpress. Jeder könne in eine schwierige Situation in seinem Leben geraten und Hilfe brauchen. Hier dürfe nicht gewertet werden. "Ich glaube ganz fest daran, dass jeder Mensch seine eigene Kraft hat. Manchmal verliert man sie oder glaubt selbst nicht mehr daran, und da braucht es Unterstützung, wieder zu seiner Kraft zu finden", erzählte Drassl.
Vor mehr als 15 Jahren habe die Caritas ein echtes "Muttertagswunder" erfahren, berichtete Schwertner rückblickend über die Entstehung des Hauses Luise. Im einzigen Caritas-Mutter-Kind-Haus in Wien habe man damals neun von zehn Frauen aus Platzmangel abweisen müssen und dringend nach neuen Möglichkeiten gesucht. Dann habe eine Frau der Hilfsorganisation ein altes Zinshaus mit Hof vermacht. "Das Haus war aber in desolatem Zustand, und die Kosten zur Renovierung betrugen 500.000 Euro." Mit einer Spendenkampagne in Kooperation mit Ö3 habe man innerhalb weniger Tage Spenden gesammelt und am Muttertag 2009 die "schönste Muttertagsaktion aller Zeiten" verwirklicht. Ein Jahr später konnte das Haus Luise eröffnet werden.
Inzwischen gibt es zehn Caritas-Mutter-Kind-Einrichtungen in ganz Österreich. Allein in den drei Mutter-Kind-Häusern in Wien wurden im vergangenen Jahr 171 Frauen und 261 Kinder versorgt. Auch bei anderen Angeboten für Frauen und Kinder in Not sei die Nachfrage hoch, teilte die Hilfsorganisation mit. Im "Muki-Mobil" wurden im Vorjahr 78 Familien beraten. Durch das Projekt "RONJA" konnten 26 Familien und 56 Kinder nach dem Auszug aus einem Mutter-Kind-Haus weiter begleitet und betreut werden. In der Familienhilfe und bei der Ambulanten Familienarbeit wurden im vergangenen Jahr zusätzlich 926 Familien betreut.