"Eine große Kontinuität": Schönborn über Franziskus und seine Vorgänger
07.05.202513:03
Italien/Kirche/Papst/Wahl/Schönborn/Interview
Wortlaut eines Kathpress-Interviews mit Kardinal Christoph Schönborn am Vorabend des Konklaves in Rom über die verbindenden Momente der letzten drei Pontifikate und die besondere Atmosphäre in Rom angesichts der enormen weltweiten Aufmerksamkeit für die Papstwahl
Rom, 07.05.2025 (KAP) Unter den in Rom zum Konklave versammelten Kardinälen herrscht "ein ganz großer Konsens darüber, dass das, was Papst Franziskus gebracht hat in seinem Pontifikat nicht ein Bruch zu den vorhergehenden Pontifikaten war, sondern es eine große Kontinuität mit neuen Akzentsetzungen gibt". Das hat der emeritierte Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, im Interview mit Kathpress in Rom betont. Schönborn ist zwar aufgrund der Altersgrenze nicht mehr im Konklave wahlberechtigt, aber er hat an den Beratungen im sogenannten Vorkonklave teilgenommen. Kathpress dokumentiert das Interview mit Kardinal Schönborn im Folgenden im Wortlaut:
Kathpress: Herr Kardinal, danke für dieses Gespräch am Vorabend des Konklaves. Wir befinden uns in einer besonderen Zeit - denn die Trauerzeit und die Vorbereitungen auf das Konklave fallen zusammen. Wie trauert man und bereitet sich zugleich auf ein Konklave vor?
Schönborn: Trauer und der Blick in die Zukunft gehören immer zusammen. Papst Franziskus ist sehr plötzlich gestorben - im Rückblick nicht ganz überraschend, aber im Ablauf doch völlig unerwartet. Die Hoffnung auf seine Genesung war groß. Sein Erscheinen am Ostersonntag mit dem Segen Urbi et Orbi, wenn auch mit schwacher Stimme, war ein starkes Hoffnungszeichen. Auch seine Runde im Papamobil durch die Menge war ein Zeichen der Hoffnung. Rückblickend war es eine faszinierende zeitliche Koinzidenz, dass er diesen Ostersonntag feiern konnte und am Ostermontag ins ewige Leben hinübergegangen ist. Das sind unglaublich starke Zeichen. Man sucht sich sein Sterbedatum nicht aus - aber es ist schwer, sich ein passenderes Datum vorzustellen. Dazu kommt die Parallele zu Papst Johannes Paul II., der am Ende der Osterwoche starb. Diese Zeichenhaftigkeit ist tief berührend. Ostern zeigt uns, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Natürlich ist das ein Anlass zur Trauer. Aber zugleich gibt es dieses Bewusstsein: Ein Mensch, der für die Christenheit und darüber hinaus große Bedeutung hatte, ist am Tag der Auferstehung Jesu ins ewige Leben eingegangen.
Kathpress: Diese Tage bringen das ganze Pontifikat noch einmal in konzentrierter Form in Erinnerung - auch in den Gesprächen der Kardinäle. Gibt es schon einen gewissen Konsens darüber, was bleiben soll, was Franziskus grundgelegt hat?
Schönborn: Ich habe dieses Thema in meiner Wortmeldung bei der Kardinalsversammlung angesprochen und hatte das Gefühl, dass viele sich damit identifizieren können: Ich habe mich dabei auf Papst Benedikt XVI. bezogen, auf seine berühmte Weihnachtsansprache an die Kurie, in der er von der "Hermeneutik der Kontinuität" gesprochen hat - im Gegensatz zur "Hermeneutik des Bruchs". Auch wenn Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren, so sehe ich im Rückblick doch eine klare Linie der Kontinuität - auch über diese drei hinaus, etwa zu Paul VI. und Johannes XXIII.: Alle waren vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt, dessen zentrale Anliegen sie weitergeführt haben: Die Erneuerung der Kirche aus ihrer Wurzel, die Öffnung zur Welt, der Dienst an den Menschen. Franziskus hat in seinen Schriften und seinem Wirken neue Akzente gesetzt - etwa mit "Evangelii Gaudium". Er hat die Umwelt, die Option für die Armen, den interreligiösen Dialog und das Thema Frieden und Migration besonders stark betont. Aber das sind keine Brüche mit der Vergangenheit, sondern Vertiefungen. Ein besonders starkes Zeichen ist auch die Synodalität, auf die Franziskus Wert gelegt hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Kirche als "Communio", als Gemeinschaft gedacht. Franziskus hat sich dann gefragt: Wie funktioniert diese Gemeinschaft konkret? In diesem Sinne ist sein Pontifikat eine Weiterführung dessen, was seit dem Konzil im Gang ist.
Kathpress: Und trotzdem gibt es Stimmen, die sagen: Franziskus ist zu weit gegangen, etwa bei der Synodalität oder bei "Amoris Laetitia". Einige Kardinäle haben sogar öffentlich an seiner Rechtgläubigkeit gezweifelt. Wie ernst sind diese Stimmen zu nehmen?
Schönborn: Solche Kritiken betreffen nicht allein die Person Franziskus, sondern das Konzil selbst. Manche fragen sich: Ist das Konzil zu weit gegangen? Hat es durch die Betonung der Kollegialität die Autorität des Papstes geschwächt? Ist durch die Beteiligung des Volkes Gottes eine zu starke Demokratisierung eingetreten? Das mögen berechtigte Fragen sein, aber gerade bei der Synodalität ist klar: Die Bischofssynoden, wie sie seit Paul VI. bestehen, sind keine Entscheidungsorgane, sondern beratende Gremien. Ich selbst habe an etwa acht Synoden teilgenommen - und immer war klar: Bei synodalen Vorgängen handelt es sich nicht um etwas, das mit einem Konzil vergleichbar ist, bei dem Entscheidungen getroffen werden, sondern um Versammlungen, die dazu dienen, den Papst in seinem Dienst beratend zu unterstützen. Manche Kritiker verwechseln hier etwas.
Kathpress: Das ist Ihr drittes Vorkonklave. Kann man Unterschiede zu den früheren erkennen?
Schönborn: Ja. Dieses Mal spielen die weltpolitische Lage und die zunehmenden kriegerischen Konflikte eine deutlich größere Rolle. 2005 und 2013 kamen wir in einer friedlicheren Welt zusammen. Jetzt sind Polarisierung, Krieg und Gewalt sehr prägende Themen.
Kathpress: Trotz der spirituellen Tiefe ist das Konklave auch ein globales Medienspektakel. Warum blickt die ganze Welt nach Rom?
Schönborn: Ich sehe darin ein tiefes, oft unausgesprochenes Bedürfnis nach Sinn, Orientierung - und nach einer Figur, die etwas verkörpert, was man sonst in der Weltpolitik kaum findet. Der Papst steht nicht für eine Macht, nicht für wirtschaftliche Interessen. Er steht für Transzendenz. Franziskus war jemand, der für Frieden stand. Das zeigen auch die Reaktionen und die Trauer in der islamischen Welt: Dieser "Mann in Weiß" mit seiner geistlichen Autorität ist weltweit eine faszinierende Gestalt - und das nicht nur wegen seiner Persönlichkeit.
Kathpress: Sie haben kurz nach Franziskus' Tod gesagt: Niemand ist für dieses Amt wirklich geeignet - es ist eine Überforderung. Warum geht es dann trotzdem?
Schönborn: Weil der Papst nicht sich selbst repräsentiert. Er steht nicht für ein Land oder eine Ideologie, sondern verweist auf Christus. Jesus sagte zu Petrus: "Du bist der Fels, auf dem ich meine Kirche bauen werde." Der Papst ist das sichtbare Zeichen dieser Gemeinschaft. Franziskus hat mit dem Großimam der al-Azhar eine Erklärung zur Geschwisterlichkeit der Menschen unterzeichnet - ein Symbol dafür, wofür der Papst steht. Dass sich über 4.500 Journalisten zur Papstwahl akkreditieren, zeigt diese weltweite Faszination.
Kathpress: Und wie geht es Ihnen persönlich damit, dass Sie diesmal nicht im Konklave dabei sind?
Schönborn: Ich werde innerlich sehr intensiv dabei sein. Und ich bin eigentlich in derselben Situation wie die, die hineingehen: Niemand weiß, wer es sein wird. Gott allein weiß es. Alles, was gesprochen wird, richtet sich schon an ihn - auch wenn wir ihn noch nicht kennen. Das macht die Tiefe und das Geheimnis dieses Prozesses aus.
Kathpress: Franziskus hat das Verhältnis zwischen Papst, Kurie, Kardinälen und Volk Gottes sehr stark verändert. Gibt es nun die Erwartung, dass das neu austariert wird?
Schönborn: Ja, das ist eine starke Erwartung. Die Welt ist komplexer geworden und sie kann einen einzelnen Menschen an die Grenzen der Überforderung führen. Daher ist es die Überzeugung vieler Kardinäle, dass das Amt des Papstes starke Teamarbeit braucht - mit der Kurie, mit den Bischöfen, mit der ganzen Kirche. Es braucht ein starkes Miteinander.
Kathpress: Franziskus sprach von "heilsamer Dezentralisierung" und zugleich von der Aufgabe des Papstes als Garant der Einheit. Wie lässt sich das zusammenbringen?
Schönborn: Das ist eine strukturelle Spannung, die jeden Papst betrifft. Er ist der Dienstleister der Einheit - das ist seine Aufgabe. Aber er ist darauf angewiesen, im Netzwerk der Kirche zu handeln. Die katholische Kirche hat, anders als viele denken, eine sehr flache Hierarchie - von den Pfarren über die Diözesen bis zu den Kontinentalkonferenzen. Diese Breite braucht Dezentralisierung, aber sie darf nicht zur Zersplitterung führen. Der Papst ist der Einheitspunkt in diesem Gefüge.
Kathpress: Der ökumenische Patriarch Bartholomaios in Istanbul schien zutiefst über Franziskus' Tod betroffen - mehr als mancher katholische Bischof. Beide hätten gerne das Jubiläum des Konzils von Nizäa gemeinsam gefeiert. Könnte das ein schöner Auftakt für den neuen Papst sein?
Schönborn: Ja, das liegt sehr nahe. Wer auch immer der neue Papst sein wird - das 1.700-Jahr-Jubiläum des Konzils von Nizäa wird ein bedeutender Moment in seinem ersten Amtsjahr sein. Es ist ihm geradezu aufgelegt, mit diesem Ereignis gleich ein Zeichen für Synodalität und Einheit zu setzen.
Kathpress: Gibt es noch einen Gedanken, der Ihnen besonders wichtig ist?
Schönborn: Ja. Ich habe die Begräbnisse von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus miterlebt. Die Trauer, die Anwesenheit des Volkes Gottes, die endlosen Schlangen - das war überwältigend. Die Menschen haben ihren Papst geliebt. Viele Jugendliche sagten damals: Wir haben einen Vater verloren. "Papa" [Italienisch: Papst, Anm.] heißt Vater - und das war für mich der tiefste Eindruck dieser drei großen Gestalten, die ich aus nächster Nähe erleben durfte.
Zwei Wochen lang haben die Kardinäle in Rom über die Nachfolge von Papst Franziskus beraten - Am Mittwoch kommen sie zusammen, um einen neuen Papst zu wählen
Kardinal Schönborn in Kathpress-Interview: Alle drei Pontifikate von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus waren stark vom Konzil geprägt - "Dieses Erbe von Franziskus ist daher nicht einfach nur sein, sondern es ist das gemeinsame Erbe der letzten Pontifikate aus dem Ereignis des Konzils heraus" - Hohe Erwartungen an die Teamfähigkeit des neuen Papstes