Tagung der Ordensarchive in Linz - Historiker Klieber: "Ordensgeschichte in der NS-Zeit ist weder eine reine Opfer-, noch eine reine Heldengeschichte" - Widerstand bei Ordensleuten war aber lauter und opferreicher als in anderen Bereichen
Linz, 07.05.2025 (KAP) "Ordensleute im Nationalsozialismus" lautete das Motto der heurigen Jahrestagung der ARGE Ordensarchive, die von Montag bis Mittwoch in Linz stattgefunden hat. Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde dabei nicht nur an das Schicksal vieler Ordensmänner und -frauen erinnert, sondern auch deutlich für differenzierte historische Aufarbeitung plädiert, wie die heimischen Ordensgemeinschaften in einer Aussendung mitteilten.
Der Wiener Kirchenhistoriker Prof. Rupert Klieber zeichnete in seinem Vortrag ein facettenreiches Bild vom Verhalten der Ordensgemeinschaften im Dritten Reich. Klieber differenzierte das Verhalten der Ordensleute in fünf Typen: Regime-Befürworter, Pastoral-Idealisten, die das Gespräch mit den Nationalsozialisten suchten, drittens als größte Gruppe die trotz allem Loyalen, viertens punktuell Widerständige und schließlich Regime-Gegner. Der Historiker sprach von ca. 300 Personen in Befreiungsbewegungen.
Der Nationalsozialismus bedeutete für viele Klöster Verfolgung, Enteignung und Existenzbedrohung. So wurden ab 1938 insgesamt 214 der rund 1.400 österreichischen Ordensniederlassungen geschlossen (ca. 15 Prozent), darunter 26 traditionsreiche Stifte.
"Ordensgeschichte in der NS-Zeit ist weder eine reine Opfer-, noch eine reine Heldengeschichte", so das Resümee Kliebers: "Widerstand bei Ordensleuten war lauter und opferreicher als in anderen Bereichen. Ordensfrauen und -männer streuten indirekt Sand ins Getriebe und bewahrten geistliche Inseln."
Klieber gab den teilnehmenden Archivarinnen und Archivaren der Orden einen Tipp auf den Weg: "Achten Sie auch auf Dokumente in der Zeit vor 1938, denn relevante Sündenfälle sind oft schon vorher passiert. Und eines ist sicher: Je länger die Forschungsarbeiten laufen und je mehr Archive geöffnet werden, desto komplexer wird das Bild."
Erinnern als geistliche Praxis
Einen anderen Zugang wählte P. Ewald Volgger, Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der KU Linz, der die liturgische Erinnerungskultur des Deutschen Ordens vorstellte. Angestoßen durch die Auseinandersetzung mit Leid, Verfolgung und Auflösung während totalitärer Systeme entstand das "Weiße Buch", das Kurzbiografien und die Leidensgeschichten von Ordensmitgliedern enthält, die unter totalitären Diktatoren litten oder ermordet wurden. Eingebettet in das tägliche Totengedenken werde über das Erinnern an die Menschen hinaus auch spirituelle Tiefe geschaffen: "Wir gedenken nicht nur der Toten, sondern würdigen ihr Leben als Glaubenszeugnis", so Volgger.
Causa P. Petrus Franz Mayrhofer
Wie komplex einzelne Lebenswege in der NS-Zeit verlaufen konnten, zeigte die Linzer Historikerin Prof. Birgit Kirchmayr am Beispiel von P. Petrus Franz Mayrhofer aus Stift Kremsmünster. Mayrhofer wurde 1939 wegen angeblichen Kanzelmissbrauchs verhaftet, später vorzeitig entlassen - doch seine Rolle bleibt ambivalent. So war er in den Jahren danach offenbar in die Verwaltung von Kunstbeständen der NS-"Führersammlung" ("Sonderauftrag Linz") eingebunden und geriet nach 1945 in amerikanische Internierung. Überlieferte Predigten aus dieser Zeit zeugten von einer fragwürdigen "Opfer-Täter-Umkehr".
Der Fall zeige, so Kirchmayr, "wie wichtig verantwortungsvolle Biografiearbeit ist, aber sie zeigt auch die Grenzen auf - nämlich dann, wenn Quellen fehlen". Wichtig sei, in der historischen Forschung mit Sensibilität heranzugehen und Ambivalenzen auch zuzulassen. Im Fall der Biografie von P. Petrus Mayrhofer blieben etwa die Fragen offen: "Was passierte in der Haft 1939/40? Warum wurde er frühzeitig freigelassen? War er tatsächlich Gestapo-Konfident und war er dies unter Druck/Erpressung? Warum waren seine eigene NS-Verfolgung und Gefangenschaft kein Grund, dass er nicht in amerikanischen Arrest kam? Welche Geisteshaltung stand hinter den Predigten in amerikanischer Haft?"
Berichte aus den Orden
P. Peter Maria Pendl von den Karmeliten ging auf die Doktorarbeit von P. Raimund Bruderhofer ein, die das Schicksal der Karmeliten- und Karmelitinnenklöster in Oberösterreich während der NS-Zeit behandelt - inklusive Verfolgung, Enteignung, Widerstand und Wiederaufbau. Besonders hervorgehoben wurde P. Paulus Wörndl, der 1944 hingerichtet wurde. P. Oliver Ruggenthaler vom Wiener Franziskanerkloster beleuchtete die Ambivalenz innerhalb der Franziskaner zur NS-Zeit: von Opfern und Widerstandskämpfern bis zu Mitläufern und Kollaborateuren.
Nora Pärr, Historikerin und Archivarin der Ursulinen, berichtete über die geheime Schule der Wiener Ursulinen für "nichtarische" Kinder. Sr. Clara Maria Neubauer von der Kongregation der Schwestern der Unbefleckten Empfängnis Marien in Vorau zeichnete das Leben von Sr. Maria Krückl, die 1945 von einem sowjetischen Soldaten ermordet wurde und für die ein Seligsprechungsprozess läuft.
Klaus Birngruber, Archivar im Stift Wilhering und Leiter des Linzer Diözesanarchivs, berichtete über den Wilheringer Zisterzienser P. Sylvester Birngruber. Ein neu entdecktes Dokument belegt demnach seine kritische und theologisch fundierte Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Der Publizist Martin Kolozs stellte den NS-Widerstand von Ordensmännern wie P. Jakob Gapp, P. Johann Schwingshackl, P. Johann Steinmayr und P. Titus Helde in den Mittelpunkt.
Der Historiker Martin Kroiher stellte schließlich das von ihm initiierte Portal gedenkort.at vor. Dieses erinnert multimedial an Opfer und Widerstandskämpfer von 1938 bis 1945 in Österreich.
Scheuer: Archive sind Gedächtnis der Humanität
Verena Lorber und Andreas Schmoller vom "Franz und Franziska Jägerstätter Institut" machten mit den Teilnehmenden einen Stadtspaziergang, der eigens für die Tagung zusammengestellt wurde: von der Linzer NSDAP Zentrale bis zum Untersuchungsgefängnis, das sich im ehemaligen Ursulinenkloster auf der Landstraße befand. Klosterzellen wurden zu Gefängniszellen umgebaut, Franz Jägerstätter war bei den Ursulinen in Untersuchungshaft, die Klosterküche war auch Gefängnisküche.
Ebenfalls auf dem Programm stand eine Messe mit Bischof Manfred Scheuer im Mariendom. In seiner Predigt betonte Scheuer die Bedeutung der Ordensarchive und der kirchlichen Archive. In Bezug auf das Thema der Jahrestagung bezeichnete er die Archive auch als Gedächtnis der Humanität, dass Erinnern heile und die Archive die Hoffnung der Kirche nähren würden.
Die Tagung wurde vom Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz (ARGE der Ordensarchive Österreichs) in Kooperation mit dem Franz und Franziska Jägerstätter Institut (Katholische Privat-Universität Linz) veranstaltet.