Von der christlichen Geschichte der kleinen Stadt Iznik, in der vor 1.700 Jahren beim Konzil von Nicäa zentrale theologische Grundlagen des Christentums gelegt wurden, wissen die Türken heute kaum mehr etwas - Doch jetzt kommt der neue Papst - Hintergrundbericht von Bettina Dittenberger
Iznik, 21.11.2025 (KAP/KNA) Auf der Uferpromenade von Iznik studieren Passanten eine Tafel vor dem neuen Freiluftmuseum, das die jüngst im See entdeckte Basilika zeigt. "Ach sieh mal an, hier müssen früher mal Christen gelebt haben", bemerkt ein türkischer Besucher erstaunt. Von der christlichen Geschichte der kleinen Stadt am See, in der vor 1.700 Jahren die theologischen Grundlagen des Christentums gelegt wurden, wissen die Türken heute kaum etwas. Der bevorstehende Besuch von Papst Leo XIV. im einstigen Nizäa (Nicäa) rührt deshalb an ihre Identität und an ihr Selbstverständnis.
"Wir beobachten diese Pläne mit Misstrauen", warnte Mahmut Arikan, der Vorsitzende der islamisch-konservativen Saadet-Partei, diese Woche im türkischen Parlament: "Soll in Iznik ein neuer Vatikan errichtet werden?" Die Pilgerreise des Papstes zum 1.700. Jahrestag des Ersten Ökumenischen Konzils in Nizäa werde eine christliche Pilgerroute nach Iznik etablieren und die Kontrolle der Türkei über ihr historisches und kulturelles Erben gefährden, fürchtet der Parteichef. "Ich rufe die Regierung zur Wachsamkeit gegen die Versuche des Vatikans und der USA auf, uns zu umzingeln."
Ängste türkischer Nationalisten
Arikan griff damit die beständige Angst türkischer Nationalisten auf, der Westen wolle sich - irgendwann und irgendwie - die Gebiete von Anatolien und Istanbul zurückholen, die einst christlich waren, bis sie von den Osmanen erobert wurden. Diese Ängste waren es, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bediente, als er vor fünf Jahren die Hagia Sophia in Istanbul zur Moschee umwandelte - so wie es der osmanische Sultan Mehmet getan hatte, als er 1453 das damalige Konstantinopel eroberte. Die kleinere Hagia Sophia von Nizäa, in der im Jahr 787 das siebte Ökumenische Konzil tagte, war aus ähnlichen Motiven schon zehn Jahre vorher zur Moschee erklärt worden.
In Iznik waren Bewohner, Lokalpolitiker und Handelskammer damals nicht begeistert von der Entscheidung, machte sie doch ihre Bemühungen zunichte, sich im Glaubenstourismus zu etablieren und ausländische Besucher anzulocken. Umso hoffnungsvoller sieht die Kleinstadt am See nun dem Papstbesuch entgegen, von dem es sich einen neuen Impuls für den Tourismus aus dem Westen erhofft. Bei türkischen Touristen ist das Städtchen dank seiner römischen Stadtmauern und osmanischen Kachelkunst in den vergangenen Jahren beliebt geworden, doch Ausländer sind hier bisher selten.
"Papst wird Aufschwung bringen"
"Der Papst wird den Aufschwung bringen", hofft ein Andenkenhändler in Iznik - einer von vielen Dutzenden, die zwischen der einstigen Sophienkirche und dem nördlichen Stadttor ihre Waren feilbieten. Vor allem Keramik im osmanischen Stil bieten diese Geschäfte an: Teller, Tassen, Krüge und Medaillons mit blauen Mustern auf weißem Grund - und eine Art Grammophon aus Keramik, das als Verstärker für Musik vom Mobiltelefon dienen soll. Auch muslimische Gebetsketten und Kopftücher gibt es zu kaufen, Rosenkränze oder Kreuze aber - zumindest bisher - nicht.
"Beim Besuch des Papstes werden sich wieder mal alle Defizite zeigen, die unsere Provinz beim Tourismus hat", kommentierte die Lokalzeitung "Bursa Hakimiyet" die bevorstehende Visite. Nur über eine schmale und überlastete Landstraße ist das Städtchen zu erreichen; die Unterbringungsmöglichkeiten sind bescheiden, das gastronomische Angebot auf Imbisse beschränkt. Trotz seiner prächtigen Mauern und Stadttore ist Iznik heute ein verschlafener Ort, der von seinen Olivenhainen und Obstplantagen lebt: Traktoren machen einen guten Teil des städtischen Verkehrs aus.
Freiluftmuseum am See
Neuen Schwung erhofft sich die Stadt von dem Freiluftmuseum am See, das eigens zum Papstbesuch in diesem Monat eröffnet wurde. Von Laufstegen aus können Besucher dort ins Wasser sehen, um die römische Basilika zu erblicken, die seit zehn Jahren von Tauchern und Archäologen erforscht wird. Vermutlich im vierten oder fünften Jahrhundert errichtet und nach einem Erdbeben im See versunken, wurde sie erst 2014 zufällig auf Luftbildern entdeckt - der Wasserspiegel war wegen des Klimawandels gesunken.
Die Wissenschaft rätselt nun, ob es sich bei der Basilika um den Tagungsort des Ersten Konzils im Jahr 325 handeln könnte; die These ist unter Forschern umstritten. Trotz dieser Ungewissheit wählten der Papst und der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel das See-Ufer nahe der Basilika als Schauplatz für ihr Gebet, mit dem sie am 28. November der gemeinsamen theologischen Wurzeln im Ersten Konzil gedenken wollen. Andere Schauplätze kamen kaum in Frage: Die Hagia Sophia von Nizäa ist heute Moschee, von den anderen Kirchen der Stadt sind nur Ruinen übrig. Und wo genau das Konzil vor 1.700 Jahren tagte, weiß niemand mehr.
(Diese Meldung ist Teil eines Themenschwerpunkts zum Besuch von Papst Leo XIV. in der Türkei und im Libanon. Alle Meldungen sind abrufbar unter www.kathpress.at/papst-tuerkei-libanon)