Beiruter Pfarrer: "Libanon wird wieder auf der Titelseite stehen"
29.11.202514:45
Libanon/Papst/Kirche/Gesellschaft
Die Christen im Libanon erwarten Papst Leo XIV. mit Begeisterung - noch viel größer als die Organisatoren sich vorstellen konnten, sagt der Beiruter Pfarrer Richard Abi Saleh. Er sieht schon jetzt viel Positives. Von Andrea Krogmann
Beirut , 29.11.2025 (KAP/KNA) Vorfreude, Begeisterung und eine riesige Energie: Das ist nach Worten von Richard Abi Saleh die Stimmung, mit der die libanesischen Christen Papst Leo XIV. herbeisehnen. "Der päpstliche Besuch wird ungeduldig erwartet, aber auch der Papst als Person", sagt der maronitische Pfarrer von Mar Maroun, einer Pfarre im bürgerlichen Beiruter Stadtteil Gemmayzeh. "Die Leute haben Papst Leo XIV. in den Sozialen Medien verfolgt und sehen ihn als engagierten, sanften und spirituellen Mann. Sie haben eine Nähe zu ihm entwickelt, ohne ihn zu kennen. Jetzt sind sie neugierig, ihn live kennenzulernen."
Für einen kurzen Moment vergangene Woche habe man den Atem angehalten, sei der Enthusiasmus eingefroren, erzählt Richard Abi Saleh. Israel hatte trotz des seit einem Jahr geltenden Waffenstillstands erneut einen Luftschlag geflogen - diesmal nicht auf die Grenzregion im Südlibanon, sondern auf ein Ziel in Haret Hreik, einem südlichen Vorort von Beirut. Doch die Papstreise soll wie geplant stattfinden.
Alle Glocken und hoffentlich ein paar Minarette
Am Sonntag um 16:15 Uhr, wenn der Flieger des Kirchenoberhauptes auf dem Rafik-Hariri-Flughafen im Süden Beiruts landet, werden alle Kirchenglocken des Landes für zehn Minuten läuten; "unsere Art, Papst Leo XIV. 'Ahlen we sahlan', herzlich willkommen, zu sagen", so Abi Saleh. Geht es nach dem Pfarrer, stimmen auch ein paar Muezzine von ihren Minaretten in die Begrüßungsklänge ein, als "Zeichen der Brüderlichkeit, des Friedens und als Gotteslob". Der Papst komme in den Libanon zu allen Libanesen. Es sei das Mosaik des Libanons, das das Land ausmache, zerbrechlich und reich zugleich. "Wer mit der Zerbrechlichkeit umgehen kann, wird ein Kunstwerk daraus machen. Wer sie nicht zu handhaben weiß, wird daran zerbrechen."
Richard Abi Saleh liebt offene Räume und hasst Mauern. Zusammenarbeit, etwa über die Konfessionsgrenzen hinweg mit den anderen Altstadtpfarreien, sei "viel schwieriger, aber auch viel schöner". Die Explosion im Beiruter Hafen am 4. August vor fünf Jahren hat bei dem Pfarrer und seiner Gemeinde einen Prozess freigesetzt. Eigentlich sei Mar Maroun eine "typisch ruhige und etwas bourgeoise Pfarrei" gewesen. Mit den Schäden der Hafenexplosion sei jedoch auch diese illusorische Fassade eingestürzt. "Auf einmal wurde Armut sichtbar, die lange hinter den Mauern versteckt worden war."
Aus der Erkenntnis wuchsen spontane Hilfsaktionen, dann langfristige Projekte. Ateliers schaffen Arbeitsstellen, der Verkaufserlös ihrer Produktion fließt in die Sozialarbeit der Pfarrei: Lebensmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, vor allem aber Unterstützung bei der Schulbildung. Im Krieg kamen Binnenvertriebene hinzu. "Entlang der Hauptstraße von Süden nach Beirut ist unser Kirchturm der erste, den Menschen zu sehen bekommen", lacht Abi Saleh. Und die Pfarrei nahm auf, "ohne auch nur nach der Religion zu fragen".
Weg vom Schubladendenken
Der Offenheit, dem Menschen als Menschen zu begegnen, sei ein mehrjähriger Prozess vorausgegangen, erzählt der Pfarrer. Auch seine Gemeindemitglieder hätten anfangs die Menschen in Schubladen einsortiert. Inzwischen sei die Pfarrei ein Ort der Begegnung, wie er ihn sich wünscht. "Kirchen müssen lernen, zu Lebensgemeinschaften zu werden, statt spirituelle Verteilstellen zu sein. Das macht den Glauben dynamisch, weniger konsumierend. Es macht uns im wahren Sinne missionarisch: im Dienst der Menschen, und zwar aller."
Abi Saleh setzt große Hoffnungen auf den Besuch aus Rom. "Die Libanesen haben seit dem 4. August 2020 verstanden, dass Hoffnung nicht ein Wunsch ist, sondern ein offenes Feld, das Engagement verlangt. Jetzt warten sie auf den Papst, in der Hoffnung auf Frieden. Ich hoffe auf einen engagierten Diskurs des Papstes, mit dem er den Ball ins Feld der Libanesen spielt und ihnen sagt: Wenn ihr eine bessere Gesellschaft wollt, macht euch ans Werk, baut am Frieden, alle Libanesen - Christen und Muslime."
Die Libanesen seien bereit, ist Richard Abi Saleh überzeugt. "Es gibt im Libanon keine politischen konfessionellen Probleme, keine Mauern zwischen Muslimen und Christen." Ein Blick in die Politik zeige viel mehr, dass sie "wissen, wie Zusammenarbeit geht, wenn sie eine gemeinsame Vision haben". An dieser gemeinsamen Vision für das Land müsse man jetzt arbeiten.
Traum von grenzenlosem Orient
Abi Saleh sieht ein Volk, das in weiten Teilen der Gewalt müde ist und Frieden will. "Viele träumen von einem Nahen Osten ohne Grenzen. Am Ende sind wir so eine kleine Region. Von Beirut nach Jerusalem wären es zweieinhalb Autostunden - man könnte zum Mittagessen hinfahren", sagt er.
Die letzten fünf Jahre im Libanon seien ein anhaltender Sturm gewesen. "Die Menschen sind am Ende ihrer Kräfte, aber sie haben sich noch nicht aufgegeben. Das beste Zeichen dafür ist der Enthusiasmus für den Papstbesuch", so Abi Saleh. Der sei so groß gewesen, dass die Leute die Organisatoren des Besuchs überholt hätten. "Die Energie der Menschen war größer als die organisatorische Struktur. Jede Veranstaltung, für die man sich anmelden konnte, war in kürzester Zeit ausgebucht."
Wieder mehr Selbstbewusstsein
Der unerwartete Zuspruch der Libanesen zum Besuch von Leo XIV.: Für Richard Abi Saleh ist es ihr "Schrei nach Frieden und Hoffnung", aber auch Zeichen eines "spirituellen Durstes". Schon jetzt hat der bevorstehende Besuch für den maronitischen Pfarrer positive Auswirkungen auf das Land und seine Menschen. "Wir selber zweifeln zu oft an uns und sehen nur unsere Fehler. Aber die Kirche glaubt an uns. Das gibt uns Selbstbewusstsein und Stolz zurück - und es nimmt uns in die Verantwortung." Und für einmal werde der Libanon aus seiner Isolation zurück ins Rampenlicht geholt. "Libanon wird wieder auf der Titelseite stehen."