Grazer Weihbischof definiert "christlich-sozial" bei Adventgespräch des Kummerinstituts nicht als politisches Programm, sondern als Haltung - Glaube ist kein Rückzug, sondern "Bewegung in die Welt hinein, dorthin, wo Gerechtigkeit, Frieden und Würde immer neu errungen werden müssen"
Graz, 08.12.2025 (KAP) Eine christlich-soziale Orientierung hat der Grazer Weihbischof Johannes Freitag als "adventlichen Auftrag" bezeichnet. Im Rahmen eines Adventgesprächs des Karl-Kummer-Instituts am Montag, dem Festtag Mariä Empfängnis, in der Arbeiterkammer Graz formulierte er die sich in einer pluralen Gesellschaft stellende Ausgangsfrage: "Wie kann der Glaube öffentlich wirksam bleiben, ohne sich aufzudrängen? Wie kann er inspirieren, ohne zu dominieren?" Freitags Antwort, die er sodann anhand der Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre darlegte: "Die christlich-soziale Orientierung ist kein politisches Programm, sondern eine Haltung, eine Art, in der Welt zu stehen." Wer an die Menschwerdung Gottes glaubt, könne "nicht gleichgültig bleiben gegenüber der Welt, in der er lebt".
Die vorweihnachtliche Adventzeit sei ein guter Anstoß zur "Besinnung auf das Wesentliche", betonte Weihbischof Freitag. In einer Gesellschaft, die immer pluraler, vielfältiger, aber auch unruhiger geworden ist, brauche es diese Gegenbewegung und "Rückkehr zu den Quellen des Menschseins, die nicht in Konsum und Selbstoptimierung, sondern in Würde, Solidarität und Verantwortung liegen". Christlich-sozial zu denken heiße vor diesem Hintergrund, "die Welt nicht von oben herab zu beurteilen", sondern besonders auch den Blickwinkel jener einzunehmen, die am Rand stehen. Christlich-sozial zu handeln heiße, sich in Verantwortung rufen zu lassen - "aus der Hoffnung heraus, dass die Welt veränderbar ist". Christlicher Glaube sei nicht als Rückzug zu verstehen, "sondern als Bewegung in die Welt hinein, dorthin, wo Gerechtigkeit, Frieden und Würde immer neu errungen werden müssen".
Freitag erinnerte an die in der Sozialenzyklika "Rerum novarum" (1891) von Papst Leo XIII. genannten Grundprinzipien Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Nachhaltigkeit als "vier Leitsterne, die uns gerade im Advent Orientierung schenken". Personalität fuße auf der Glaubensüberzeugung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und dessen damit verbundenen unveräußerlichen Würde. Dies stelle vor die Frage: "Wie gehen wir mit der Würde derer um, die keine Stimme haben?" Im Advent feiern Gläubige, so der Bischof, nicht nur, dass Gott Mensch wird. "Wir feiern, dass jeder Mensch Ort der Gegenwart Gottes ist."
"Wir alle für alle verantwortlich"
Zum Prinzip der Solidarität rief Freitag ein Zitat von Papst Johannes Paul II. aus dessen Lehrschreiben "Sollicitudo rei socialis" (1987) in Erinnerung: "Wir alle für alle verantwortlich." Diese Formulierung sei "ein Korrektiv gegen die Versuchung des Individualismus" und erfordere die Einsicht, "dass das Schicksal des anderen untrennbar mit meinem verbunden ist". Gerade in einer Zeit, in der sich "Gesellschaft in viele Teilinteressen zersplittert", sei Solidarität ein stilles, aber kraftvolles Gegensignal, mit einem "Nein zu Gleichgültigkeit und Ja zur Verbundenheit", betonte Freitag.
Das Prinzip der Subsidiarität halte vor Augen, dass Verantwortung nicht "von oben" delegiert werden könne, so der Weihbischof weiter. Jeder Mensch, jede Gemeinschaft, jede Gemeinde sei berufen, das Mögliche aus eigener Kraft zu gestalten.
Papst Franziskus habe in seiner Enzyklika "Laudato si" (2015) auf Nachhaltigkeit und Verantwortung für die Schöpfung gepocht. Und zugleich dargelegt: Die ökologische Krise ist immer auch eine soziale Krise. Freitag wandte sich gegen eine Sichtweise von Nachhaltigkeit als ein "Modethema", sie sei vielmehr Ausdruck der Ehrfurcht vor dem Leben.
Demokratie braucht ethische Richtschnur
Der Grazer Weihbischof würdigte in seinen Ausführungen die Demokratie als Ort ethischen Ringens. Die Kirche schätze die Demokratie - "nicht als perfekte, sondern als lernende Ordnung". Gemäß dem oft zitierten Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde - "Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann" - brauche Demokratie Orientierung an einer ethischen Richtschnur. Freitag nannte hier Achtung der Würde, Gerechtigkeit, Solidarität, Verantwortung. "Wenn Christinnen und Christen sich in Politik und Gesellschaft einbringen, dann nicht, um religiöse Macht auszuüben, sondern um Zeichen der Hoffnung zu setzen", erklärte der Bischof. Sie würden das einbringen, was die Gesellschaft heute am meisten brauche: Vertrauen, Geduld, Glaube an den Menschen - und die Überzeugung, dass jedes Leben zählt.
Wichtig für den Lernort Demokratie sei nicht zuletzt Synodalität. Sie sei kein innerkirchliches Organisationsmodell, sondern eine geistliche Grundhaltung, so Freitag: "Sie erinnert uns daran, dass niemand allein glaubt, dass Wahrheit im Hören aufeinander wächst, dass Kirche nur dann glaubwürdig ist, wenn sie dialogfähig bleibt." Eine solche synodale Haltung fördere auch demokratische Kultur: "Gespräch statt Polarisierung, Respekt statt Rechthaberei, Zuhören statt Schlagwort." Im Advent lade dies zu einer Haltung des Hörens ein - auf Gott, auf die Bibel, auf das, was Menschen bewegt. "Vielleicht ist das die wichtigste adventliche Tugend: Hören, bevor wir handeln", sagte der Weihbischof.
Das 1953 gegründete Dr. Karl Kummer Institut ist eine von Tages- und Parteipolitik unabhängige wissenschaftliche Institution, die ihre Aufgabe darin sieht, zur Festigung einer vom christlichen Ideal getragenen Gesellschafts- und Sozialpolitik beizutragen. Sein Name geht auf den österreichischen katholischen Abgeordneten zum Nationalrat, Arbeitsrechtler und Sozialreformer Karl Kummer (1904-1967) zurück.