Dormitio-Abt Schnabel in Kirchenzeitungs-Interview: Geburtsfest Christi im Straßenbild kaum sichtbar und nur mit Mühe zu entdecken - Israelis mit sowjetischen Wurzeln mit Weihnachtsbräuchen vertraut - Gazas Christen als "kleine Pflanze der Hoffnung"
Wien/Salzburg/Jerusalem, 18.12.2025 (KAP) Weihnachten ist im Heiligen Land kaum sichtbar und im öffentlichen Raum nur mit Mühe zu entdecken: Darauf hat der Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel, im Gespräch mit österreichischen Kirchenzeitungen (aktuelle Ausgaben, Donnerstag) hingewiesen. Christliches Weihnachtsbrauchtum sei in Israel und Palästina eine Angelegenheit kleiner Minderheiten und verteile sich zudem auf mehrere Termine. "Man muss fast wie ein Trüffelschwein suchen, um im Straßenbild Weihnachten zu finden", sagte der Leiter des deutschsprachigen Benediktinerklosters auf dem Zionsberg.
Christen stellen im Heiligen Land nur rund 1,8 Prozent der Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die verschiedenen christlichen Kirchen an unterschiedlichen Tagen Weihnachten feiern: westliche Kirchen am 25. Dezember, ostkirchliche Gemeinschaften nach dem julianischen Kalender Anfang Jänner und die armenische Kirche erst Mitte Jänner. Eine durchgehende "Weihnachtsstimmung" wie in Mitteleuropa gebe es daher nicht. Die Heilige Nacht in Jerusalem sei eine ganz gewöhnliche Nacht und werde etwa dazu genutzt, um Schaufenster zu putzen oder Waren anzuliefern.
Gleichzeitig stößt Weihnachten bei Teilen der jüdischen Bevölkerung auf Interesse. Abt Schnabel verweist auf rund 1,5 Millionen Israelis mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion, von denen viele säkular leben und auch christliche Bräuche kennen. In der Dormitio-Abtei findet in der Nacht auf den 25. Dezember eine große Vigil statt, zu der auch zahlreiche jüdische Gäste kommen. Gesungen werden dabei unter anderem "Stille Nacht" und "O du fröhliche" auf Deutsch. "Ich bin vermutlich der einzige katholische Priester, der zu Weihnachten vor lauter Juden predigt", sagt Schnabel. Dabei gehe es ihm allerdings nicht um Mission, betonte der Ordensmann.
Ein zentrales Ritual der Feier ist die Segnung einer Papierrolle mit Tausenden Namen. Gläubige aus aller Welt können der Abtei Namen von Lebenden und Verstorbenen übermitteln. Diese Namensrolle wird in der Heiligen Nacht von Jerusalem in einer Wanderung nach Bethlehem getragen in einer rund zehn Kilometer langen Prozession, die auch durch einen israelischen Checkpoint führt. In den frühen Morgenstunden erreicht die Gruppe die Geburtsgrotte in Bethlehem, meist begleitet vom Ruf des Muezzins zum muslimischen Frühgebet.
In der Geburtsgrotte schöpft der Abt nach eigenen Worten Hoffnung trotz der politischen Spannungen und des anhaltenden Leids in der Region. "Die Mächtigen und Zyniker haben nicht das letzte Wort", sagte Schnabel. Das letzte Wort über das Leben habe der, dessen Geburt in Bethlehem gefeiert werde. Auch eine Waffenruhe, wie sie derzeit im Gazastreifen herrscht, bedeute noch keinen Frieden. Wichtig sei vielmehr, Vertrauen aufzubauen und Menschen wieder als Menschen wahrzunehmen. Das brauche jedoch viel Zeit und möglicherweise Generationen, sagte der Benediktinerabt.
Als "kleine Pflanze Hoffnung" bezeichnete Schnabel die Kinder der zwei christlichen Pfarren im Gaza-Streifen, katholisch und orthodox. Sie würden jeden Tag um Schutz für alle Menschen beten, für Palästinenser, Israelis, für Juden und Muslime. Es gebe aber auf allen Seiten Menschen, die auch in härtesten Kriegszeiten über Versöhnung nachdenken wollen. Das stünde im Kontrast zur herrschenden Politik.
Scharfe Kritik übte der Abt an politischen Akteuren auf beiden Seiten. Sowohl bei der Hamas als auch bei Teilen der israelischen Regierung beobachte er eine Sprache der Entmenschlichung. Dem setze er das gemeinsame Menschenbild der abrahamitischen Religionen entgegen: Jeder Mensch sei nach dem Bild Gottes geschaffen, was statt eines propagandistischen "Opfer-Wettbewerbs", bei dem nur das eigene Leid zähle, vielmehr Empathie, Zuhören und Kompromissbereitschaft erforderlich mache.
Die Lage der Dormitio-Abtei zwischen der jüdisch geprägten Neustadt und der muslimisch-palästinensischen Altstadt bezeichnete Schnabel als besondere "Gnade". Die Abtei sei ein Ort, an den sich beide Seiten wagten. "So können wir eine kleine Hoffnungsinsel in einem Ozean von Leid sein", so der Abt.